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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gelang es ihm überraschend gut, die Montgolfière zu steuern.
    »Wir sind zu hoch«, bemerkte Mira.
    Er stöhnte. »Erst ist der Kurs falsch, dann sind wir zu niedrig, und nun zu hoch. Dir kann man auch gar nichts recht machen.«
    Sie verschränkte die Arme. »Ich dachte, es wäre vielleicht nützlich, dich darüber in Kenntnis zu setzen.«
    Arian schüttelte den Kopf. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht anfahren. Ich könnte umfallen, so müde bin ich. Was muss ich tun? Sag jetzt nicht, ich soll die Luft abkühlen. Dazu bin ich zu schwach.«
    Sie deutete auf eine Leine, die vom Ballon herabbaumelte. »Wie wär’s, wenn du mal dran ziehst?«
    »Ich glaube, du versuchst mich auf zuziehen.«
    »Tu es einfach.«
    Lustlos griff er nach dem Seil und zog daran. Es leistete ihm einigen Widerstand, doch schließlich gab es nach. Die Übung rief ihm die Grundregeln der Luftfahrer in den Sinn: Zum Steigen Ballast abwerfen, zum Sinken Luft ablassen. Vermutlich war am anderen Ende der Leine eine Stoffklappe befestigt, die sich durch beherztes Ziehen öffnen ließ.
    Der Freiballon verlor an Höhe. Schnell bekam Arian ein Gefühl dafür, wie oft er das Luftventil betätigen musste, um die Sinkgeschwindigkeit zu kontrollieren. Ihn juckte schon der Übermut, als die Steuerfrau neben ihm sich abermals meldete.
    »Das wird aber knapp.«
    Er spähte nach unten. Die bleiche Steilwand kam tatsächlich bedenklich rasch näher. Sofort versuchte er die Luft im Ballon wieder anzuheizen, doch diesmal kam er gegen die Erschöpfung nicht an. Ihm blieb gerade noch die Kraft, Mira zu warnen: »Halt dich fest!«
    Mit besorgniserregendem Tempo rauschte die Montgolfière auf die Klippe zu. Die Galerie drohte, an der Kreidewand zu zerschellen. Arian kniff die Augen zu.
    Plötzlich erfasste ein Aufwind vom Meer die Luftkugel, hob sie sanft über den Klippenrand hinweg und setzte sie dahinter auf der Weide ab. Einige Schafe ergriffen die Flucht. Träge kippte der Ballon um und blieb auf der Seite liegen.
    Mira fiel förmlich über ihren Verlobten her, packte sein Ohr und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Wir haben es geschafft, Arian. Wir haben Luftfahrtgeschichte geschrieben.«
    »Lass uns erst einmal aussteigen«, drängte er. Zwar hatte er das Ungetüm bezähmt, geheuer war es ihm dennoch nicht.
    Er half ihr aus der Galerie heraus. Mira plapperte in einem fort, so unfassbar erleichtert war sie. Als beide Reisesäcke und der Stockdegen neben ihr im Gras lagen, griff sie wieder nach seiner Hand und schlang ihren Arm um seinen Hals. »Weißt du, dass wir gerade unsterblich geworden sind, ohne jemandem den Körper zu stehlen? Noch in tausend Jahren wird man sagen: Der erste Mann und die erste Frau, denen die Überquerung des Ärmelkanals in einem Aerostaten gelungen ist, sind Mister und Mistress Pratt gewesen.«
    Er seufzte. »Die Welt wird von unserer Pioniertat nie erfahren, Schatz.«
    »Aber wieso nicht?«
    Arian schloss die Augen, um ein letztes Quäntchen Kraft aus sich herauszupressen. Mit einem Puff! fing die Montgolfière Feuer. »Weil von dem Ballon gleich nur mehr ein großer schwarzer Fleck übrig sein wird.« Er hob das Gepäck auf und schob Mira weiter von den Flammen weg.
    Ihr Blick hing unverwandt am Feuerball, fassungslos schüttelte sie den Kopf. »Warum hast du das getan?«
    »Damit man uns nicht für Spione Frankreichs hält. Glaub mir, der gute alte englische Galgen ist nicht so ökonomisch wie eure Guillotinen, aber tot ist tot. Außerdem …« Er verstummte. Gerade hatte er aus den Augenwinkeln eine Gestalt bemerkt.
    Im flackernden Licht des Feuers stand ein Mann in schwarzem Frack, unbeweglich wie eine Statue, ein blankes Rapier in der Hand. Dem Aussehen nach war er um die vierzig. Der hohe Wuchs, das schmale, kantige Gesicht, die kaffeebraune Haut, das pechschwarze, gelockte Haar – all das ähnelte verblüffend dem Palastherrn von Ivoria.
    »Du!«, zischte Arian, ließ die Reisesäcke fallen, riss den Degen aus dem Spazierstock und stellte sich schützend vor Mira. »Wie kannst du noch in diesem Körper sein? Ich dachte, du hättest ihn im Tempel der Metasomen verloren.«
    »Er war mir nach dem deinen der liebste. Deshalb hatte ich mir gleich zwei Exemplare zugelegt.« Morpheus grinste. »Zwillinge.«
    Arian schüttelte angewidert den Knopf. »Du bist wie eine eitrige Beule, die man nicht los wird.«
    »Etwas mehr Respekt, Sohn. Du sprichst mit deinem Urgroßvater.«
    »Du hast bei mir sämtliche Achtung verspielt. Ich

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