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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nicht versehentlich durch eine flüchtige Berührung die Körper tauschten. Am liebsten hätte er gleich den ganzen Arm um dieses bestrickende Wesen gelegt und es unentwegt angestarrt.
    Letzteres taten die beiden anderen Fahrgäste auf der Bank gegenüber dafür umso gründlicher. Was sie wohl über das seltsame Paar dachten? Ein rubinäugiges Narbengesicht Anfang vierzig und ein elfengleiches siebzehnjähriges Mädchen. Vater und Tochter? Liebhaber und Mätresse? Arian musste sich zwingen, die missfälligen Blicke des anglikanischen Geistlichen und seiner Frau zu ignorieren. Der Feuerkristall zeigte sie ihm mit den Köpfen eines Chamäleons und einer Gans. Beim Einsteigen an der Poststation in Southwark hatte der Priester mit wichtiger Miene erwähnt, dass er dem Erzbischof von Canterbury einen Besuch abzustatten gedenke. Wahrscheinlich würde er ihm vom moralischen Niedergang im öffentlichen Fernverkehr berichten.
    Arian, Mira und Zed hatten mit einem längeren Aufenthalt gerechnet, als sie nach zwei Meilen Fußmarsch beim Elephant and Castle angekommen waren. Gewöhnlich verließen die Postkutschen nach Canterbury und Dover diese Station schon spätnachmittags oder am frühen Abend, weil auf den Fernstraßen nachts weniger Verkehr herrschte. Zur großen Überraschung der drei hatten sie die Reise wegen einer zehnstündigen Verspätung fast ohne Wartezeit antreten können – der Postmeister murmelte etwas von höherer Gewalt. Mr Nobbs, der Wächter, hatte hinter vorgehaltener Hand dem Kutscher die Schuld gegeben. Er sei zu betrunken gewesen, um auf dem Bock zu sitzen.
    Zed hatte nur noch neben dem Wachmann Platz gefunden, der auf dem Rücksitz über der Briefkiste thronte wie eine Glucke auf ihren Eiern. Überfälle auf den Landstraßen gehörten zur Tagesordnung, weshalb der Begleiter mit zwei Pistolen und einer Blunderbuss bewaffnet war, die er liebevoll Donnerbüchse nannte. Die furchterregende Handfeuerwaffe hatte einen langen, trichterförmigen Lauf und konnte bis zu sieben Schüsse hintereinander abgeben.
    Kaum weniger abschreckend für die Strauchdiebe und Wegelagerer von Kent war Zedekiah Blacksmith in Hooters kraftstrotzender Gestalt. Mira hatte ihren Diener gebeten, später nach London zurückzukehren. Vielleicht gelang es ihm herauszufinden, was Mortimer höchstselbst in die Stadt geführt hatte und wer tatsächlich hinter dem Anschlag auf Arian steckte. Außerdem musste jemand den King im Auge behalten und dafür sorgen, dass seine Aufpasser ihm nicht zuhörten. Zweifellos konnte er sehr überzeugend sein, denn niemand wusste mehr über Turtleneck als Turtleneck. Sollte er freikommen, würde er den Seelendieben vermutlich eine ganze Schwadron von Meuchlern auf den Hals hetzen. Von Zed, der den Gauner seit dessen Kindheit kannte, hatte Mira auch erfahren, dass der Taufname des Verbrecherkönigs in Wirklichkeit Francis Hubbard lautete.
    Während der Pferdewagen über die Watling Street rumpelte, deren Pflastersteine aus der Römerzeit stammten, gingen Arian beunruhigende Dinge durch den Kopf. Es war kaum zu leugnen, dass er sich mit jedem Körperwechsel weiter von dem Menschen entfernte, der er sein wollte. Der Zorn nach dem Mord an Sergeant Major Astley und der düstere Hass, bevor er Hammers Geist ausgelöscht hatte – diese Gefühle konnten nur aus tiefschwarzen Seelen stammen, die auf ihn abgefärbt hatten. Wenn es ihm nicht gelang, diese Brut des Bösen zu ersticken, würde sie ihn irgendwann von innen heraus verschlingen.
    Und als wäre das nicht schon beunruhigend genug, würde er demnächst mit einem französischen Mädchen heimlich den Ärmelkanal überqueren und durch feindliches Gebiet bis in die deutschen Lande reisen. Die Kutschfahrt nach Dover war vermutlich die weitaus sicherste Etappe ihrer Tour d’Europe, wie Mira ihr Abenteuer nannte.
    Schließlich war Arian über seinem Grübeln doch noch eingeschlafen. Er träumte, ein farbenprächtiger Phönix zu sein, jener mythische Vogel, der im Feuer stirbt, um aus der eigenen Asche wiederaufzuerstehen. Pfeilschnell zischte er durch die Lüfte und beobachtete tief unter sich eine winzige Postkutsche, die auf das Meer zuraste. Plötzlich stieß ein riesiger Falke auf ihn herab und schrie triumphierend. Seine Stimme klang wie … ein Posthorn?
    Arian schreckte aus dem Schlaf und fand sich neben der Falkenfrau wieder, die ihn aus großen Augen musterte. Mr Nobbs blies gerade sein Horn. So pflegte der Kutschenwächter an den Zollstationen freie

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