Die Masken von San Marco
soll diese Verhaftung stattgefunden haben?»
Königseggs Unterkiefer klappte herab. Er starrte Tron ungläubig an. «Gestern Abend in Santo Stefano.»
«Wer hat diese Verhaftung vorgenommen?»
«Zwei uniformierte Polizisten.» Königsegg rang sichtlich um Fassung. «Soll das bedeuten, dass Sie nicht darüber Bescheid wissen?»
«Im Nachtprotokoll ist von einer Verhaftung nicht die Rede», sagte Tron. «Das einzige Vorkommnis war ein Gerangel im Quadri.» Dabei hatte es sich um eine Messerstecherei zwischen zwei alkoholisierten kroatischen Offizieren gehandelt, aber Tron hielt es für taktlos, diesen Umstand jetzt zu erwähnen. «Für das wir», fuhr er fort, «nicht zustän dig gewesen sind, weil es sich um zwei kaiserliche Offiziere gehandelt hat. Wenn gestern Nacht irgendetwas geschehen ist, dann hat es keinen Niederschlag in den Akten gefunden.»
«Kann es sein, dass uniformierte Polizisten aus einem anderen Sestiere auch in San Marco Verhaftungen vornehmen?»
Tron hob die Schultern. «Theoretisch schon – nach einer Verfolgung, die in einem anderen Sestiere begonnen hat. Aber auch in diesem Fall müsste ein Bericht darüber vorliegen.»
«Ich habe die Polizisten mit eigenen Augen gesehen», beharrte Königsegg.
«Und wo?»
Darüber musste der Generalleutnant eine Weile nachdenken. Schließlich sagte er: «In einer Trattoria am Campo Santo Stefano.»
«Was genau ist passiert?»
Königsegg hob die rechte Hand und rieb sich die Schlä fe. Er sah plötzlich aus wie ein Mann, der eine fürchterliche Migräne bekommt. «Ich war mit einem Herrn verabredet, der mir eine goldene Halskette verkaufen wollte.»
«Mit einem Juwelier?»
Königsegg räusperte sich nervös. «Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es handelte sich eher um eine Zufallsbekanntschaft. Wir hatten uns in der Trattoria verabredet, weil er mir die Kette zeigen wollte.»
«Sie kannten den Mann also nicht?»
Königsegg schüttelte den Kopf. «Nein.»
«Und wie kam es zur Verhaftung?»
«Ich war am Ausschank, um meine Bestellung zu ändern. Als ich an den Tisch zurückgehen wollte, waren plötzlich die beiden Polizisten da und haben den Mann abgeführt.»
«Sind Sie sicher, dass die beiden Männer tatsächlich Polizisten gewesen sind?»
Tron sah, wie Königsegg bei dieser Frage zusammen zuckte, so als hätte er ihm einen Schlag verpasst. «Was soll das heißen, Commissario?»
«Dass man ausrangierte Polizeiuniformen an jeder Stra ßenecke kaufen kann», antwortete Tron. «Aber wenn es tatsächlich zwei Polizisten gewesen wären – in welcher Weise hätte ich Ihnen helfen können und in welcher Weise hätten Sie mir helfen können?»
«Nun, ich dachte, weil …»
Königsegg brach den Satz ab und sah Tron an. Tron kannte diesen Ausdruck. Es war der Ausdruck eines Mannes, der kurz davor war, zu reden, weil er nicht mehr weiterwusste und Hilfe brauchte. Doch dann straffte sich die Gestalt Königseggs, sein Oberkörper bog sich zurück, und er erhob sich hastig. Wenn Königsegg nahe daran gewesen war, ihm etwas zu erzählen, dann würde er es jetzt nicht mehr tun. Tron stand ebenfalls auf.
Er lächelte verständnisvoll. «Falls Sie meine Hilfe brauchen, können Sie mich jederzeit im Palazzo Tron erreichen.»
«Das wird nicht nötig sein», erwiderte Königsegg steif.
Er verbeugte sich förmlich, drehte sich um und stapfte mit unsicheren Schritten zur Tür.
Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel Tron auf, dass die ohnehin schon reichlich bizarre Geschichte Königseggs noch einen kleinen Schönheitsfehler hatte. Am Campo Santo Stefano gab es keine Trattoria. Seitdem das kleine Café direkt gegenüber der Kirche geschlossen hatte, existierten keine Gaststätten mehr am Campo Santo Stefano. Königsegg hatte also entweder etwas verwechselt, oder er hatte gelogen. Aber warum?
Tron zuckte die Achseln. Er nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz, zog die Schublade auf und griff nach dem Probeabzug des Emporio. Es gab wirklich Wichtigeres zu erledigen. Und wenn Königsegg tatsächlich ein Problem hatte, würde er sich wieder melden. Und man würde ihm mit dem größten Vergnügen behilflich sein.
17
Oberst Hölzl betrat den Campo Santa Margherita von der Südseite aus, ein mittelgroßer, unauffällig gekleideter Mann, der einen schwarzen Zylinderhut trug und in der rechten Hand einen jovialen Spazierstock hielt. Der Spazierstock war in Wahrheit ein Stockdegen, ohne den Oberst Hölzl nie das Haus verließ. Er liebte ihn,
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