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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sich dort eigenhändig das Genick gebrochen und anschlie ßend die Schranktür von außen verschlossen hatte, kam Königsegg zu dem naheliegenden Schluss, dass der professore ermordet worden war.
    Sein erster Gedanke war, die Wohnung so schnell und  leise wie möglich zu verlassen. Sein zweiter Gedanke war, vorher die Taschen des Toten zu durchsuchen. Zu einem dritten Gedanken kam er nicht, weil er plötzlich Schritte auf dem Flur hörte, schwere, schlurfende Trollschritte. Kö nigsegg drehte sich um, holte tief Luft und schob den Sicherungshebel seines Revolvers zurück. Als sich die Gestalt an der Türöffnung zeigte, spannte er den Hahn.
    Es war eine vielleicht fünfzigjährige, ziemlich korpulente Signora, die abrupt stehenblieb und ihn jetzt mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Sie hielt einen Korb in der Hand, aus dem ein Brot und eine Weinflasche ragten, und Königsegg brauchte nicht übermäßig viel Phantasie, um sich vorzustellen, was sich jetzt vor ihren Augen abspielte: Sie sah einen Mann, der einen Revolver auf sie richtete, und sie sah zu seinen Füßen den toten professore mit geöffnetem Mund und einem grotesk nach hinten gebogenen Kopf. Sie sah den Mörder und das Opfer.
    Königsegg, der Mörder, setzte ein beschwichtigendes  Lächeln auf. Er sagte: «Signora, holen Sie …»
    Aber die Signora wollte nicht beschwichtigt werden. Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus, ließ den Korb fallen und drehte sich um. Dann rannte sie kreischend den Flur hinunter, und Königsegg hörte nur noch, wie die Wohnungstür krachend ins Schloss fiel.
    «Signora, holen Sie Commissario Tron von der venezianischen Polizei», hatte Königsegg sagen wollen. Aber dafür würde jetzt ohnehin jemand sorgen.
    Er ließ den Arm mit dem Revolver sinken, arretierte  den Sicherungshebel und legte die Waffe auf den Tisch.
    Dann setzte er sich auf das Bett und lehnte seinen Rücken an die Wand, um auf die Polizei zu warten. Da er vermeiden wollte, dass sein Blick auf den toten professore fiel, schloss er die Augen.

24
    Signor Pescemorte, Eigentümer der Farmacia San Marco, hatte den Kaffee und die baicoli, die Tron ihm angeboten hatte, höflich abgelehnt. Selbst auf den Stuhl, auf dem er jetzt saß, hatte man ihn regelrecht nötigen müssen. Vermutlich, dachte Tron, hätte Signor Pescemorte seinen Vortrag am liebsten im Stehen gehalten. Der farmacista war ein sorgfältig gekleideter Mann mit einem kahlen Schädel und abstehenden Ohren. Er hatte die letzte Viertelstunde ununterbrochen gesprochen. Da er seine gelegentlichen Gutachten für die Questura pro bono erstellte, wäre es unhöflich gewesen, ihn zur Eile zu drängen oder ihn zu bitten – endlich! –, auf den Punkt zu kommen.
    «Der Nachweis des Salpeters und des Schwefels ist kein Problem», erklärte Signor Pescemorte jetzt in einem Ton, der hoffen ließ, dass sich der Vortrag seinem Ende näherte.
    «Es besteht kein Zweifel daran, mit welchen Substanzen wir es zu tun haben. Zum Kohlenstoff, zur pulverisierten Holzkohle, hatte ich mich ja bereits geäußert.»
    Signor Pescemorte war berüchtigt für seine feuchte Aussprache, und Tron war auf seinem Stuhl unwillkürlich immer weiter nach hinten gerutscht, um dem feinen Sprühregen zu entkommen, der sich aus dem Mund des farmacista auf ihn ergoss. Ein wenig irritierend war außerdem, dass Signor Pescemorte ihn während des ganzen Vortrages kein einziges Mal ansah. Die Augen des farmacista waren entweder auf seine Notizen oder auf die Lithographie des Kaisers gerichtet gewesen, die hinter Trons Schreibtisch an der Wand hing.
    «Es handelt sich hier also um eine Mischung von Schwe fel, Salpeter und Holzkohle», sagte Signor Pescemorte mit einer gewissen Feierlichkeit.
    Das hörte sich, fand Tron, immer noch arg nach Che mieunterricht an – ein Fach, in dem er nie geglänzt hatte.
    Er schwieg, um Signor Pescemorte die Gelegenheit zu weiteren Ausführungen zu geben. Aber der schwieg jetzt ebenfalls und richtete einen erwartungsvollen Blick auf die Lithographie des Kaisers, so als würde er einen Kommentar des Allerhöchsten zu dieser speziellen Mischung erwarten.
    Es war Bossi, der schließlich das Schweigen brach. «Um Schießpulver also.»
    Signor Pescemorte senkte den Kopf. « Esatto, signore. »
    Äh, wie bitte? Tron setzte die Kaffeetasse, die er in die Hand genommen hatte, abrupt auf die Untertasse zurück.
    Hatte Bossi Schießpulver gesagt? Ja, das hatte er. Also konnte man die Füllung eines scaldino durch das

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