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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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wirklich nichts gerochen?»
    Bossi schüttelte den Kopf.
    «Dann machen Sie den Deckel auf!»
    «Warum muss ich das alles machen, Commissario?»
    «Weil dieser kleine Ausflug Ihre Idee war, Bossi», sagte Tron unerbittlich. «Und weil jemand die Blendlaterne halten muss. Machen Sie schon.»
    Der Deckel aus dünnem Eisenblech war nicht schwer.
    Bossi hatte keine Probleme, ihn hochzuheben und auf den Rand der Grube zu legen.
    Als Tron sich hinabbeugte, um den Inhalt des Sarges in Augenschein zu nehmen, wäre ihm die Blendlaterne fast vor Schreck aus der Hand gefallen. Im Sarg lag ein menschlicher Rumpf ohne Kopf, Beine und Arme – ein Torso, der in einen straff anliegenden hellen Stoff gehüllt war.
    «Was ist das?» Tron konnte Bossi hecheln hören, wie ein Hund in der Hitze.
    «Der dürfte schwer zu identifizieren sein», sagte Tron ruhig.
    Er ging in die Knie, stützte sich mit der linken Hand auf den Rand der Grube und senkte die rechte Hand mit der Laterne so dicht wie möglich auf den Sarg hinab. Der Torso war völlig glatt, ohne Auswölbungen und Mulden, die noch etwas von der ursprünglichen Form des Körpers ahnen ließen. Das war seltsam. Ebenso seltsam war, dass der helle Stoff, in den der Rumpf gehüllt war, nirgendwo Flecken aus getrocknetem Blut aufwies – fast so, als hätte man den Torso sorgfältig ausbluten lassen, bevor man ihn in das Tuch einschlug. Plötzlich wusste Tron, worum es sich handelte, und wäre fast in Gelächter ausgebrochen. Er sah Bossi an. «Das ist ein Sandsack, Bossi.»
    «Ein Sandsack?» Bossi lachte zittrig.
    «Haben Sie ein Messer?»
    Bossi nickte stumm. Hinter ihm huschte ein kleines  Tierchen über den Erdhaufen, den Bossi am Rand des Grabes aufgeschüttet hatte. Tron hielt es für klüger, den ispettore in seiner momentanen Verfassung nicht darauf hinzuweisen.
    Er sagte: «Dann schneiden Sie den Sack auf. Der beißt nicht, Bossi.»
    Bossi sah Tron gallig an, und es verstrichen ein paar Sekunden, bis er reagierte. Schließlich zog er ein Messer aus der Innentasche seines Mantels, kniete sich auf den Rand des Sarges und stieß die Klinge in den Stoff. Es knirschte leise, und Bossi seufzte erleichtert.

    «Na bitte.» Tron lächelte. «Und da es keinen vernünftigen Grund gibt, Sand nach Venedig zu schmuggeln», sagte er, «hat sich vermutlich noch etwas anderes in dem Sarg befunden. Etwas, das man wegen der vielen Patrouillen nicht über die nördliche Lagune nach Venedig bringen wollte.»
    «Auf dem Boden sind ein paar dicke schwarze Kleckse  aus einer schmierigen Masse», sagte Bossi nachdenklich.
    «Riecht das Zeug?»
    Bossi schüttelte den Kopf. «Nein, Commissario.»
    «Versuchen Sie, so viel wie möglich davon abzukratzen.
    Dann müssen wir den Sarg nicht mitnehmen. Haben Sie  ein Taschentuch?»
    «Ja, sicher.»
    «Schlagen Sie das Zeug in Ihr Taschentuch ein», sagte Tron. «Wir werden es morgen früh untersuchen lassen.»
    «Was könnte das sein?»
    Tron zuckte die Achseln. «Vielleicht tatsächlich der Rest von etwas, das man auf legalem Weg nicht nach Venedig einführen konnte.»
    «Und das jemandem einen Mord wert war», ergänzte  Bossi nachdenklich. Er sah Tron an. «Und was machen wir jetzt?»
    «Feststellen, worum es sich bei dem Zeug handelt», sagte Tron. «Sie bringen es morgen früh zu Signor Pescemorte.
    Vielleicht kann er mittags schon etwas dazu sagen. Dann sehen wir weiter.»

23
    Das Frühstück, das sich Eberhard von Königsegg im Café Quadri bestellt hatte, nannte sich Ungarisches Dragonerfrühstück und kostete einen halben Gulden. Es bestand aus zwei Schinkenbroten, zwei Fischbrötchen, drei weichen Eiern, einer großen Tasse Kaffee, schwarz wie die Nacht, und einem doppelten Kornschnaps. Königsegg hatte keine Ahnung, was ungarische Dragoner zum Frühstück verspeisten, aber Liebhaber von Milchkaffee und süßer Konfitüre waren sie offenbar nicht.
    Jedenfalls schien sich das Ungarische Dragonerfrühstück speziell bei kaiserlichen Offizieren großer Beliebtheit zu erfreuen. Mit zweien von ihnen, Angehörigen der in Venedig stationierten kroatischen Jäger, musste sich Königsegg einen Vierertisch teilen – zwei knochige Oberleutnants, die ihre Offizierssäbel ungeniert an die Wand gelehnt hatten und sich mit lauter Stimme unterhielten. Königsegg fragte sich, ob diese Kroaten – einer von ihnen tunkte sein Fischbrötchen ungeniert in den Kaffee – überhaupt Deutsch konnten und ob sie nicht bei der ersten Gelegenheit zum Feind überlaufen

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