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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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würden. Wäre er in Uniform gewesen, hätten es die beiden kaum gewagt, sich zu ihm zu setzen. Aber so musste er ihre Gesellschaft dulden und auch noch ertragen, dass die beiden ihn für einen Zivilisten hielten.
    Das Quadri, ohnehin das bevorzugte Café der kaiserlichen Offiziere, schien heute besonders gut besucht zu sein.
    Jeder zweite Tisch war von Offizieren besetzt, wobei nicht nur die hier stationierten kroatischen Jäger, sondern alle möglichen Waffengattungen vertreten waren. Vermutlich, dachte Königsegg, lag dies auch daran, dass der kaiserliche Besuch bereits seinen Schatten auf die Lagunenstadt warf.
    Jedes Mal, wenn Franz Joseph Venedig besuchte, strömten ganze Heerscharen von Offizieren aus Verona und den Festungen des Quadrilatero nach Venedig, um sich per Unterbringungsschein ein paar schöne Tage zu machen. Und das Erste, was sie gewöhnlich nach ihrer Ankunft taten, war, sich ins Café Quadri zu begeben.
    Auch der Palazzo Reale, in dem der Kaiser in vier Tagen Quartier beziehen würde, hatte sich in den letzten beiden Tagen deutlich gefüllt. Die unmittelbare Entourage des Kaisers umfasste auf dieser Venedigreise rund zweihundert Personen, und jeden Morgen hatten die von Triest kommenden Raddampfer des Österreichischen  Lloyd Dutzende von ihnen ausgespuckt: Sekretäre, Nachrichtenspezialisten, Adjutanten, Hofräte und Sicherheitsoffziere – ein riesiger Apparat, der jedes Mal in Gang gesetzt werden musste, wenn der Allerhöchste zu einem Staatsbesuch aufbrach.
    Überhaupt die Sicherheitsoffiziere: Sie schienen jetzt das Kommando übernommen zu haben. Vom heutigen Tag an benötigte man einen Sonderpassierschein, um den Palazzo Reale zu betreten – angeblich hatte sich die Sicherheitslage im Veneto drastisch verschärft. Aber solche Gerüchte tauchten bei jeder Venedigreise des Kaisers auf, und Königsegg war weit davon entfernt, sie ernst zu nehmen.
    Am Nebentisch hatten jetzt drei Herren Platz genommen, die Königsegg vage bekannt vorkamen – ein Zivilist in einem nach der letzten Pariser Mode geschnittenen Gehrock und zwei Oberleutnants in den eleganten Uniformen der Innsbrucker Kaiserjäger, drei typische Mitglieder des Schönbrunner bon ton, die nichts dabei fanden, schon am Vormittag eine Flasche Champagner zu bestellen. Einer der beiden Oberleutnants hatte kleine spitze Zähne, und Kö nigsegg musste unwillkürlich an Andreotti denken – an Ercole.
    Ob es ein Fehler war, dass er gestern Abend Andreottis Angebot abgelehnt hatte, ihn bei seinem Besuch beim professore zu begleiten? Nein, er hatte richtig gehandelt. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass er Andreottis tatkräftige Unterstützung benötigen würde. Viel wusste er nicht über den professore – eigentlich nur, dass er ein genialer Erfinder und ein Betrüger zugleich war. Und dass er und seine Komplizen nicht gewalttätig waren. Sie schauspielerten, arbeiteten mit Tricks. Solche Leute wurden beim Anblick eines Revolvers sofort nervös – speziell, wenn man ihnen mit der natürlichen Autorität eines kaiserlichen Offiziers entgegentrat. Königsegg, der sich zur Abrundung des Ungarischen Dragonerfrühstücks und seiner natürlichen Autorität zwei zusätzliche Kornschnäpse genehmigt hatte, winkte den Kellner an seinen Tisch, um die Rechnung zu bezahlen.

    Zwanzig Minuten später stand Königsegg in einem nach Kohl und Fisch riechenden Treppenhaus und klopfte im ersten Stock an eine schäbige Holztür. Ein Namensschild war nirgendwo zu sehen, aber es handelte sich eindeutig um die Wohnung, die ihm der patrone gestern beschrieben hatte. Sie lag direkt über der macelleria am Campo San Maurizio. Ein wenig merkwürdig war lediglich, dass die Tür, wie er erst feststellte, nachdem er geklopft hatte, einen winzigen Spalt offen stand. Aber vermutlich, dachte Königsegg, war sie nicht richtig verschlossen gewesen, und die Zugluft hatte sie geöffnet.
    Königsegg beugte sich leicht nach vorne und versuchte, seiner Stimme einen energischen Klang zu geben. « Professore? »

    Dann legte er das Ohr an den Türspalt und lauschte. Als er nichts hörte, keine Stimme, keine Schritte, die sich der Tür näherten, rief er noch einmal, aber diesmal etwas lauter: « Professore? »
    Wieder kam keine Antwort. Entweder war der professore nicht in seiner Wohnung, oder er hatte ihn gehört, ihn womöglich zufällig vom Fenster aus gesehen und lauerte ihm jetzt auf. Königsegg spürte eine Welle von Panik in sich aufsteigen. Er zwang sich zur Ruhe,

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