Die Masken von San Marco
entschuldigen. Er sah gut aus, das musste Oberst Hölzl zugeben. Der Schnitt seines Gehrocks betonte seine kräftige Gestalt, und seine Gesichtszüge hatten diesen Anflug intelligenter Brutalität, den Frauen vermutlich attraktiv fanden. Unwillkürlich musste er an den Anblick denken, den er selbst bot, wenn er in den Spiegel sah: einen zur Dicklichkeit neigenden Mann mit banalen, leicht verwaschenen Gesichtszügen. Wieder stellte er fest, dass er Boldù nicht ausstehen konnte.
«Der sguasetto ist empfehlenswert», sagte er aus einem Impuls heraus. «Der Herr da drüben an dem Tisch scheint ganz angetan zu sein.»
Lebte der überhaupt noch? Oberst Hölzl warf einen schnellen Blick auf die andere Seite des Gastraums. Ja, er lebte noch. Und er schien gerade etwas von seinem Löffel zu fischen.
Boldù schüttelte den Kopf. «Danke, ich nehme einen Kaffee.» Er wies auf den Kleidersack über der Lehne des Stuhls. «Ist das die Uniform, die Sie mitgebracht haben?»
Oberst Hölzl nickte. «Sie müssten sie allerdings noch aufbügeln lassen.»
«Aufbügeln?» Das Wort schien Boldù zu amüsieren. «Also bin ich ein Offizier.»
Oberst Hölzl nickte. «Sie sind Premierleutnant Wald müller von den Innsbrucker Kaiserjägern.» Er zog einen zusammengefalteten Bogen aus seinem Gehrock und reichte ihn über den Tisch. «Hier ist Ihr Passierschein. Ausgestellt von Generaladjutant Crenneville persönlich.»
«Wo werde ich kontrolliert?»
Oberst Hölzl dachte kurz nach. «Die erste Kontrolle findet in der Postenkette auf der Piazza statt, direkt vor der Ala Napoleonica. Die zweite an der Wache am Haupteingang. Der dritte Kontrollpunkt ist im Treppenhaus. Dort wird Sie ein Leutnant der Trabanten-Leibgarde nach Ihren Ordres fragen.»
«Was sage ich ihm?»
«Sie geben ihm das hier.» Oberst Hölzl zog einen zweiten zusammengefalteten Bogen aus der Tasche. «Ihre Ordre besteht darin, wichtige Kurierpost für Feldzeugmeister Crenneville abzugeben.»
«Und dann?» Boldù nahm einen Schluck von dem Kaffee, den der Wirt ihm gebracht hatte, und verzog das Gesicht.
«Gehen Sie den großen Flur, der parallel zum Markusplatz verläuft, bis zum Ende», sagte Oberst Hölzl. «Dort befindet sich der Personalaufgang. Auf dem obersten Treppenabsatz ist eine Tür, die in den Dachboden führt. Da wenden Sie sich nach rechts. Der Durchgang ist eine unauf fällige Tür in der rechten Wand. Im Dachboden der Marciana feuern Sie aus der ersten Dachluke. Sie können sich auf die Kiste stellen, die darunter steht. Der Dachboden wird nicht benutzt – Sie werden dort keinem Menschen begegnen.» Oberst Hölzl hielt es für klüger, die Fledermäuse an den Dachlatten nicht zu erwähnen.
«Und wann genau soll ich feuern?»
«Sie feuern in dem Moment, in dem der Kaiser zu seiner Rede ansetzt.»
«Dann muss ich den Auszug des Kaisers aus dem Markusdom beobachten», erwiderte Boldù. «Das könnte Verdacht erregen. Schließlich bin ich von der Piazzetta aus gut zu sehen.»
Oberst Hölzl schüttelte den Kopf. «Es ist nicht notwendig, dass Sie den Kopf aus der Dachluke stecken. Sie müssen nur auf die malefico achten. Wenn sie aufhört zu läuten, nehmen Sie das Gewehr und zählen langsam bis zehn. Dann stecken Sie den Kopf aus der Luke und feuern. Die weiße Uniformjacke ziehen Sie vorher aus, denn man wird Sie von unten erkennen können.»
«Warum bis zehn?»
«Weil es der Kaiser ebenfalls tut. Er wird zehn Sekunden nach dem Läuten an den Rand des Podests treten. Alle werden sehen, dass der Kaiser im Begriff ist, das Wort zu ergreifen, und sich ruhig verhalten. Den ersten Schuss wird man vielleicht noch überhören. Aber beim zweiten wird Panik ausbrechen. Da werden die Herren, die sich ebenfalls auf dem Podest befinden, in Deckung gehen. Sie werden vermutlich hinunterspringen. Die einzige Person, die sich dann noch auf dem Podest befindet, ist der Kaiser.»
«Und dann gebe ich den dritten Schuss ab.»
Oberst Hölzl nickte. «Während Franz Joseph bereits kaltblütig Befehle erteilt. Er wird der Einzige sein, der in dieser Gefechtssituation die Übersicht bewahrt.»
«Vermutlich wird er den Befehl geben, die Marciana zu stürmen», sagte Boldù.
«Richtig. Eine kleine Abteilung Soldaten, die unter meinem Kommando direkt vor dem Eingang der Marciana postiert ist, wird den Dachboden der Bibliothek stürmen», sagte Oberst Hölzl. «Wir brauchen fünf Minuten, bis wir oben sind, und weitere fünf Minuten, um zu entdecken, dass es eine
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