Die Masken von San Marco
wir dem Kaiser auftischen?»
«Darüber denken wir nach, wenn ich mit Zorzi gesprochen habe. Die Frage ist, ob ich Zorzi zusichern darf, dass wir die Ermittlungen gegen ihn einstellen, wenn er uns den Sprengstoff liefert.»
Spaur katapultierte ein weiteres Praliné in seinen Mund.
«Sie dürfen.» Er sah Tron an. «Eben sind Sie noch davon überzeugt gewesen, dass Zorzi unschuldig ist.»
Tron schüttelte den Kopf. «Das stimmt nicht. Aber der Umstand, dass Zorzi den Zug benutzt hat, ist noch lange kein Beweis.»
«Was werden Sie also tun?»
«Mich ins Casino Molin begeben und mit Zorzi reden.»
«Was ist, wenn er sich stur stellt? Womöglich noch eine Erklärung für seine Bahnfahrt am Sonntag liefern kann?»
«Dann sollten wir davon ausgehen, dass Zorzi die Wahrheit sagt, und den Fall abgeben.»
Spaur seufzte tief und warf einen Blick auf eines der Bilder von Signorina Violetta. «Meinen Sie wirklich, dass ein wenig Ruhm und Ehre auch für uns dabei abfällt?»
Tron nickte. «Auf jeden Fall. Wir haben diese Konspiration entdeckt, nicht der militärische Geheimdienst. Und wenn sie keinen Erfolg haben, wird man sagen: ‹Wenn Spaur und seine Leute an der Sache weitergearbeitet hätten, dann› …»
«… hätten sie die Attentäter geschnappt», beendete Spaur den Satz. Er schlitzte schwungvoll eine weitere Packung Demel-Konfekt auf, wobei er einen Brieföffner mit herzförmigem Griff benutzte – offenbar ein Geschenk von Signorina Violetta.
38
Der Cognac war wässrig, und der Kaffee, den Oberst Hölzl dazu bestellt hatte, kalt. Der Wirt hingegen, der beide Getränke auf die fleckige Tischplatte geknallt hatte, war groß und kräftig, und Oberst Hölzl hielt es für keine gute Idee, einen Streit über die Qualität der Getränke vom Zaun zu brechen. Zumal er sonst mit der Wahl des Lokals durchaus zufrieden war. Denn diese schmutzige, am Campo San Polo gelegene Trattoria, die selbst ein wohlmeinender Fremder kaum als typisch venezianisch bezeichnen würde, hatte den unschätzbaren Vorzug, dass ihn niemand von Belang hier zusammen mit Boldù sehen würde. Der einzige andere Gast war ein kränklich aussehender Einheimischer, der ein sguasetto, eine scharf gewürzte, aus Fleischabfällen bereitete Brühe löffelte und damit beschäftigt war, Knorpel und Knochensplitter aus der Suppe zu fischen. Der konnte es sich nicht leisten, den Blick von seinem Löffel zu heben.
Ein kleiner Fehler, und er wäre tot.
Oberst Hölzl hatte Boldù zum Campo San Polo bestellt, weil ihn die nächtlichen Treffen auf dem Campo Santa Margherita jedes Mal beunruhigt hatten. Schon das Geräusch näher kommender Schritte auf dem nächtlichen Pflaster zerrte an seinen Nerven. Und wenn der Mond schien, war es auch nicht besser – im Gegenteil. Da präsentierte man sich ja gleich als Opfer auf dem Silbertablett. Nein, dachte Oberst Hölzl, eine von Italienern bewohnte Stadt nachts zu durchqueren war einfach zu riskant, und er hatte nicht vor, sein Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Schon gar nicht jetzt, wo seine militärische Karriere im Begriff war, in die Stratosphäre abzuheben.
Denn daran, dass ihr ein gewaltiger Schub bevorstand, war kein Zweifel mehr möglich. Nachdem er am gestrigen Morgen das Protokoll des kaiserlichen Besuchs erhalten hatte, hatte er sofort damit begonnen, die Einzelheiten des Attentats auf den Kaiser festzulegen. Es war kein Vergnügen gewesen, sich durch verstaubte, mit allem möglichen Gerümpel vollgestellte Dachböden zu quälen. Aber die Mühe hatte sich gelohnt. Jetzt stand der Plan, und selbst ein Mann wie Boldù würde zugeben müssen, dass er sich sehen lassen konnte.
Schlimm waren die Fledermäuse unter dem Dach der Marciana gewesen. Sie hingen in dichten Trauben an den Sparren, und da der Dachboden offenbar nie betreten wurde, hatten sie ihre Scheu vor den Menschen verloren.
Wie sie mit ihren spitzen Vampirzähnen auf ihn zuge schossen waren, um erst in letzter Sekunde wieder umzudrehen – grauenhaft. Aber das war nicht entscheidend. Es gab eine Verbindung zwischen dem Dachboden des Palazzo Reale und demjenigen der Marciana, und Boldù würde für diese Operation das Dach der Marciana benutzen. Die Luke bot einen freien Blick auf den Eingang des Markusdoms – dort würde das kaiserliche Podest stehen. Es war die ideale Position für ein Attentat. Es würde absolut glaubwürdig sein.
Boldù erschien zehn Minuten nach der verabredeten Zeit, ohne sich für seine Verspätung zu
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