Die Masken von San Marco
Stahlfeder, sondern mit einer altmodischen Rabenfeder vornahm, was Tron unwillkürlich an Balzac denken ließ.
Tron hatte den Madeira, den Zorzi ihm angeboten hatte, höflich abgelehnt. Diesmal war er es, der sofort zur Sache kam. «Ich nehme an, du weißt, warum ich hier bin», sagte er.
Zorzi legte die Rabenfeder aus der Hand und streute
etwas Löschsand über die Zahlen, die er gerade in das Kontobuch geschrieben hatte. Er sah Tron an. «Geht es um Ziani? Seid ihr weitergekommen?» Tron musste zugeben, dass sich Zorzi bemerkenswert gut unter Kontrolle hatte.
«Wir haben den Fall gelöst», erwiderte Tron.
«Das ging schnell. War es ein Raubmord?» Zorzi zuckte mit keiner Wimper.
Tron schüttelte den Kopf. «Der Mann, der Ziani getötet hat, fühlte sich von ihm bedroht.»
«Habt ihr ihn verhaftet?»
«Nein, das haben wir nicht.»
«Und warum nicht?»
«Weil wir ihm ein Arrangement vorschlagen wollen. Er übergibt uns den Sprengstoff, und wir stellen im Gegenzug die Ermittlungen ein.»
Das war ein eindeutiges Angebot, aber Zorzi war offenbar noch nicht bereit. «Ich verstehe kein Wort.»
«Dann fange ich am besten von vorne an», sagte Tron.
«Es gibt Leute, die einen Anschlag auf den Kaiser vorbereiten.»
«Das hattest du bereits am Freitag vermutet.»
«Jetzt haben wir Beweise.»
«Und wie sehen die aus?»
«Der Sprengstoff für den Anschlag ist am Sonntag in einem Sarg nach Venedig geschmuggelt worden», sagte Tron.
«Am Montag hat die Beerdigung stattgefunden, und bereits in der Nacht ist der Sarg geöffnet worden, um den Sprengstoff zu entfernen.»
«Woher weißt du das?»
«Wir haben Sprengstoffreste im Sarg gefunden.»
«Wie seid ihr auf den Sarg gekommen?»
«Durch einen Mord, der im Nachtzug von Verona nach Venedig begangen worden ist», sagte Tron. «Wir haben den Mann, der den Sarg nach Venedig bringen wollte, am Montag mit gebrochenem Genick aus der Lagune gefischt.
An seiner Stelle hat sein Mörder den Sarg abgeliefert.»
Zorzi runzelte die Stirn. «Das ergibt keinen Sinn. Warum sollte er das tun?»
«Weil er den Auftrag hat, den Anschlag zu vereiteln.»
Zorzi beugte sich verständnislos über den Tisch. Tron hatte das absurde Gefühl, dass er nicht schauspielerte. «Den Anschlag zu vereiteln ?»
«Der piemontesische Geheimdienst hat von der Sache Wind bekommen», fuhr Tron fort. «Sie haben einen Mann in die Gruppe eingeschleust. Das konnten sie, weil die venezianische Gruppe den Lieferanten nicht kannte. Turin hat kein Interesse daran, dass es zu einem Anschlag auf Franz Joseph kommt.»
Zorzis Miene war so aufrichtig, wie sie nur sein konnte.
«Warum hat Turin den kaiserlichen Behörden nicht einfach einen Wink gegeben?»
«Weil sie weder der venezianischen Polizei noch dem kaiserlichen Militär über den Weg trauen.»
«Und der Mord an Ziani?»
«Wir vermuten, dass Ziani einen Verdacht hatte», sagte Tron, «den er aber noch für sich behielt.»
«Und um ihn am Reden zu hindern, musste er sterben?»
Tron nickte. «So sieht es aus.»
«Und wer ist dieser Mann, der Ziani getötet hat?»
«Das ist die entscheidende Frage», sagte Tron geduldig.
«Und da der Kaiser bereits morgen Nachmittag in Venedig eintrifft, pressiert die Angelegenheit ein wenig.»
«Ich verstehe nicht, warum du den Fall nicht an die Kommandantura abgibst. Am Freitag hast du gesagt, du wartest noch, weil es sich nur um Gerüchte handelt. Aber offenbar weißt du inzwischen mehr.»
Tron nickte. «Wir teilen jetzt die Meinung Turins, dass man dem kaiserlichen Militär nicht trauen darf. Wir können den Fall also erst abgeben, wenn wir den Sprengstoff sichergestellt haben. Da der Turiner Agent dasselbe Ziel verfolgt wie wir, wollten wir ihm eine Zusammenarbeit vorschlagen.»
So – jetzt lagen die Karten auf dem Tisch. Aber Zorzi nippte an seinem Madeira und runzelte lediglich die Stirn.
«Ich verstehe noch immer nicht, warum du mir das alles erzählst.»
«Das erkläre ich dir, wenn du mir einige Fragen beantwortest», sagte Tron. «Trifft es zu, dass du mit der piemontesischen Armee auf der Krim warst?»
«Das trifft zu.»
«Und dass du dort in einer Sondereinheit gewesen bist?»
Zorzi nickte widerwillig. «Ich war nicht bei den regulä ren Linientruppen, falls du das meinst.»
«Und trifft es zu, dass du am Sonntag den Nachtzug von Verona nach Venedig benutzt hast?»
Zorzis Gesicht war plötzlich so verschlossen wie eine Auster. «Ich weiß nicht, ob ich diese Frage
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