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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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beantworten muss.»
    «Es gibt Zeugen dafür, dass du den Zug benutzt hast.»
    Zorzi seufzte. «Und was folgt für dich daraus?»
    War das bereits ein halbes Geständnis? «Dass du dich mit uns arrangieren solltest. Wir wollen den Sprengstoff und das Halsband. Die Leute, die noch in die Angelegenheit verwickelt sind, interessieren uns nicht.»
    Zorzi sah Tron mit großen Augen an. «Unterstellst du mir, ich hätte im Auftrag Turins den Mann im Coupé getö tet und mich an seine Stelle gesetzt? Und anschließend Ziani umgebracht, weil er mir auf die Schliche gekommen ist?»
    Tron beugte sich über den Tisch. «Wo warst du in der Nacht von Donnerstag auf Freitag?»
    «In meiner Wohnung und habe geschlafen.» Zorzi griff nach dem Madeiraglas und leerte es mit einem Zug. «Das ist kein gutes Alibi, aber die meisten Venezianer dürften kein besseres haben.»
    «Wir wollen den Sprengstoff und das Halsband. Sonst  nichts. Damit hättest du dein Ziel erreicht und wir unseres.»
    Zorzis Kiefermuskeln spannten sich an, aber er zuckte mit keiner Wimper. Er überlegte eine Weile und sagte dann: «Ich könnte etwas für dich herausfinden.»
    «Was?»
    «Etwas, das dein Problem lösen wird», sagte Zorzi. «Ich muss es nur überprüfen, bevor ich es dir mitteile.»
    «Die Zeit wird knapp. Franz Joseph trifft morgen in Venedig ein.»
    Zorzi beugte sich nach vorne und rückte einen Stapel schwarze Jetons zurecht. Dann hob er den Kopf und sah Tron an. «Gib mir den Nachmittag und den Abend.»

    Tron runzelte die Stirn. «Was hast du vor?»
    «Das kann ich dir nicht sagen.»
    «Was habe ich als Garantie?»
    «Mein Wort. Als Venezianer. Und als Zorzi.»
    «Venezianer sind wortbrüchig, habgierig und verschlagen», sagte Tron. «Und die Zorzis sind typische Venezianer.»
    «Und die Trons?»
    «Sind noch wortbrüchiger, habgieriger und verschlagener», erwiderte Tron.
    Zorzi lächelte. «Wie soll ich das verstehen?»
    Natürlich wusste Zorzi, wie das zu verstehen war. Tron brauchte es nicht zu erklären. Er griff nach seinem Zylinderhut und erhob sich. «Du erreichst mich im Palazzo Balbi-Valier», sagte er.

40
    Die Wohnung, in der Boldù untergebracht war, lag direkt an den Zattere. Zorzi hatte den Zweitschlüssel, das Haus gehörte ihm. Es war ein kleines zweistöckiges, mit Coppiziegeln gedecktes Gebäude, und da die untere Wohnung nicht vermietet war und es sich bei den beiden flankierenden Gebäuden um Lager handelte, hatte es auf der Hand gelegen, ihren Gast dort unterzubringen. Ihren Gast – von dem sich jetzt herausgestellt hatte, dass er für den piemontesischen Geheimdienst arbeitete, Ziani getötet hatte und weiß-Gott-was mit ihnen vorhatte, um die Operation zu verhindern.

    Während des Gesprächs mit Tron hatte sich Zorzi gefragt, ob das alles eine gute Idee gewesen war. Es war Zianis Einfall gewesen, ein patriotisches Feuerwerk über der Piazza zu veranstalten, und wenn er Zorzi schließlich überzeugt hatte, dann aus zwei Gründen: erstens, weil er sich als italienischen Patrioten betrachtete, und zweitens, weil er kurz zuvor eine unangenehme Unterredung mit dem Stadtkommandanten Toggenburg und einem Oberst
    Lamasch, dem Chef des militärischen Geheimdienstes,  gehabt hatte. Das Casino Molin gehörte Zorzi zwar, aber die Lizenz hatte er von der Kommandantura erhalten. Juristisch betrachtet war es eine Einrichtung der kaiserlichen Armee – eine wahrhaft geniale Konstruktion, weil das Casino auf diese Art keine Steuern zahlte. Aber der Pferdefuß waren die Lizenzgebühren. Die gingen an Toggenburg und Oberst Lamasch. Und beide hatten ihre Forderungen in den letzten Monaten immer höher geschraubt. Also hatte Zorzi ihnen mehr als einmal inbrünstig den Tod gewünscht, zumal es Signale aus der zweiten Reihe gab, dass man die Lizenz zu zivileren Konditionen verlängern würde, falls Toggenburg und Lamasch in der Versenkung verschwänden.
    Und genau das, hatte sich Zorzi gesagt, würde passieren, wenn Dutzende von feurigen Tricoloren über der Piazza erstrahlten. Gab es einen eindrucksvolleren Beleg für die Unfähigkeit des militärischen Geheimdienstes als ein grünweiß-rotes Feuerwerk in Anwesenheit des Kaisers? Keine Frage – zuerst würde Toggenburgs Kopf rollen. Und anschließend der Kopf von Oberst Lamasch.
    Aber – und dieser Gedanke war Zorzi gekommen, als er mit Tron gesprochen hatte – würden ihre Köpfe nicht ebenso rollen, wenn die Questura einen Anschlag vereitelte, den die Kommandantura verschlafen

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