Die Matlock-Affäre
später.« Er legte den Hörer auf und stand mit dem Rücken zu Matlock und Kressel am Schreibtisch. Der Dekan konnte nicht an sich halten.
»Was war das? Was ist geschehen?«
Greenberg drehte sich herum und sah sie an. Matlock dachte, seine Augen blickten noch trauriger als gewöhnlich. Matlock hatte gelernt, daß das bei Greenberg ein Zeichen für Probleme war.
»Wir beantragen bei der Polizei - den Gerichten - eine Autopsie.«
»Warum?!« schrie Kressel und ging auf den Agenten zu. »Um Himmels willen, warum?! Der Mann hat sich selbst getötet! Er litt unter Schmerzen! ... Herrgott, Sie können das nicht tun! Wenn das bekannt wird ...«
»Wir werden das in aller Stille erledigen.«
»Das geht nicht, und das wissen Sie auch ganz genau! Es wird durchsickern, und dann ist hier die Hölle los! Ich werde das nicht zulassen!«
»Sie können es nicht verhindern. Selbst ich konnte es nicht verhindern. Es gibt genügend Beweise, die darauf hindeuten, daß Herron sich nicht selbst getötet hat. Daß man ihn ermordet hat.« Greenberg lächelte schief zu Matlock hinüber. »Und zwar nicht mit Worten.«
Kressel argumentierte, drohte, rief noch einmal bei Sealfont an und verließ schließlich Matlocks Apartment wütend, als ihm klargeworden war, daß alles nichts nützte.
Kaum hatte Kressel die Türe hinter sich zugeknallt, als das Telefon erneut klingelte. Greenberg sah, daß das Geräusch Matlock beunruhigte - ihn nicht nur ärgerte, sondern ihn beunruhigte; vielleicht machte es ihm sogar angst.
»Es tut mir leid ... Ich fürchte, Ihre Wohnung muß eine Weile als eine Art Streifenbasis dienen. Nicht lange ... Vielleicht ist es das Mädchen.«
Matlock nahm den Hörer auf, lauschte, sagte aber nichts. Dann wandte er sich zu Greenberg und sagte nur ein Wort:
»Sie.«
Greenberg nahm das Telefon, sprach leise seinen Namen und verbrachte die nächste Minute damit, ins Leere zu starren. Matlock beobachtete Greenberg eine Weile und ging dann in seine Küche. Er wollte nicht daneben stehen, während der Agent die Instruktionen eines Vorgesetzten entgegennahm.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung hatte sich zu Anfang dadurch identifiziert, daß sie sagte: »Hier spricht Washington.«
Auf der Theke in der Küche lag der leere Umschlag, in dem die so brutale, heuchlerische Erklärung vom Justizministerium gekommen war. Sie war ein weiteres Anzeichen dafür gewesen, daß seine schlimmsten Ahnungen langsam Realität wurden. Aus jenem winzigen Segment des Geistes, das sich mit dem Undenkbaren befaßt, hatte Matlock zu erkennen begonnen, daß das Land, in dem er aufgewachsen war, sich in etwas Häßliches, Destruktives zu wandeln im Begriffe war. Das war viel mehr als eine politische Manifestation, das war eine langsam wirkende, alles umfassende Strategie. Eine Korruption der Intentionen. An die Stelle starker Gefühle traten oberflächliche Wut, Überzeugung und Kompromiß. Das Land begann sich in etwas völlig anderes zu wandeln als das, was es einmal versprochen hatte. Aus dem, was einmal ein Gral gewesen war, waren leere Gefäße mit geschmacklosem Wein geworden, die nur deshalb noch eindrucksvoll waren, weil sie besessen waren.
»Ich habe zu Ende telefoniert. Wollen Sie versuchen, Miß Ballantyne zu erreichen?«
Matlock blickte zu Greenberg auf, der unter der Küchentüre stand. Greenberg, der wandelnde Widerspruch, der Sprichwörter zitierende Agent, der von tiefem Argwohn für das System erfüllt war, für das er arbeitete.
»Ja. Ja, das möchte ich.« Greenberg trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und er ging ins Wohnzimmer. Matlock erreichte die Mitte des Raumes und blieb stehen. »Das ist ja ein verrücktes Zitat. Wie lautete es? >Wenn die alten Männer sich selbst töten, sterben die Städte.<« Er drehte sich um und sah den Agenten an. »Ich glaube, das ist das traurigste Sprichwort, das ich je gehört habe.«
»Die Hassidim - nicht, daß ich einer wäre - würden es nicht für traurig halten ... Jetzt, wo ich darüber nachdenke, würde das wohl kein wahrer Philosoph tun.«
»Warum nicht? Es ist traurig.«
»Aber wahr. Die Wahrheit ist weder freudig noch traurig, weder gut noch schlecht. Sie ist einfach die Wahrheit.«
»Darüber müssen wir uns einmal unterhalten, Jason.« Matlock nahm den Hörer ab, wählte Pats Nummer und ließ es ein dutzendmal läuten. Niemand meldete sich. Matlock dachte an einige Freunde Pats und überlegte, ob er sie anrufen solle. Wenn Pat verärgert oder verstimmt war, ging sie
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