Die Matlock-Affäre
und ein halbaufgeknöpftes dunkelblaues Hemd gekleidet, starrte ihn an.
Es dauerte weniger als eine Sekunde, bis Herron etwas sagte, aber in jenem kurzen Augenblick wußte Matlock, daß er sich geirrt hatte. Lucas Herron wußte, weshalb er gekommen war.
»Nun, Jim! Kommen Sie rein, kommen Sie rein, mein Junge. Was für eine angenehme Überraschung.«
»Vielen Dank, Lucas. Hoffentlich störe ich nicht bei irgend etwas.«
»Aber nein. Sie kommen sogar gerade zur rechten Zeit. Ich stelle gerade alchimistische Experimente an. Ein frischer Gin Collins. Jetzt brauche ich ihn nicht alleine zu trinken.«
»Das klingt aber einladend.«
Herrons Haus war innen genauso, wie Matlock es erwartet hatte - so wie seines in runden dreißig Jahren sein würde, wenn er so lange alleine lebte. Es war wie eine große Sammlung, das Produkt von fast einem halben Jahrhundert von Souvenirs und systemlosem Sammeln an hundert Orten. Das einzig Gemeinsame war Bequemlichkeit; man merkte der Einrichtung an, daß niemand auf Stil oder die richtige Periode oder gar auf Koordinierung geachtet hatte. Einige Wände waren von Büchern gesäumt. Die Wände, die frei waren, waren mit Vergrößerungen behängt von Orten, die er im Ausland besucht hatte - wahrscheinlich während längerer Semesterferien. Die Armsessel waren dick und weich, die Tische in bequemer Reichweite. Das Zeichen geübter und erfahrener Junggesellenschaft, dachte Matlock.
»Ich glaube, Sie sind noch nie hiergewesen - drinnen, meine ich.«
»Nein. Es ist sehr attraktiv. Sehr bequem.«
»Ja, das ist es. Bequem. Hier, setzen Sie sich, ich werde meine Mixtur fertigstellen und uns einen Drink bringen.« Herron ging quer durch das Wohnzimmer auf eine Türe zu, hinter der Matlock die Küche vermutete, blieb dann stehen und drehte sich um. »Ich weiß natürlich, daß Sie nicht den weiten Weg gekommen sind, um einem alten Mann Gesellschaft beim Cocktail zu leisten. Aber ich habe hier eine feste Regel: wenigstens ein Drink - sofern die Religion und die Prinzipien es zulassen - vor jeder ernsthaften Diskussion.« Er lächelte, und die tausend Fältchen um seine Augen und Schläfen prägten sich noch deutlicher aus. Er war ein alter, alter Mann. »Außerdem sehen Sie so schrecklich ernsthaft aus. Nach dem Collins ist das etwas besser, das verspreche ich Ihnen.«
Ehe Matlock antworten konnte, ging Herron schnell zur Türe hinaus. Statt sich zu setzen, ging Matlock an die nächste Wand, an der ein kleiner Schreibtisch stand. Darüber hingen ein halbes Dutzend Fotografien ohne bestimmtes System an der Wand. Einige zeigten Stonehenge und waren vom selben Standpunkt aus aufgenommen, wobei die untergehende Sonne in verschiedenen, dramatisch wirkenden Winkeln aufgenommen war. Eine zeigte eine felsige Küste mit Bergen dahinter und vertäuten Fischerbooten. Es sah nach einer Mittelmeerszene aus, vielleicht Griechenland oder die Thrakischen Inseln. Dann kam eine Überraschung. Rechts unten an der Wand, nur wenige Zoll über dem Schreibtisch, hing ein kleines Foto von einem hochgewachsenen, schlanken Offizier, der neben einem Baumstamm stand. Hinter ihm war das Blattwerk dicht, gleichsam dschungelähnlich. Zu beiden Seiten konnte man die Schatten anderer Figuren sehen. Der Offizier trug keinen Helm, sein Hemd war von Schweiß durchtränkt. Seine große rechte Hand hielt den Kolben einer Maschinenpistole. In der linken Hand hielt der Offizier ein zusammengefaltetes Stück Papier - es sah wie eine Landkarte aus -, und der Mann hatte offensichtlich gerade eine Entscheidung getroffen. Er blickte nach oben, wie auf hohes Terrain. Das Gesicht war angespannt, aber nicht erregt. Es war ein gutes Gesicht, ein starkes Gesicht. Es gehörte einem dunkelhaarigen Lucas Herron in mittleren Jahren.
»Das alte Foto behalte ich, damit es mich immer daran erinnert, daß die Zeit mich nicht immer so mitgenommen hat.«
Matlock fuhr hoch. Lucas war wieder eingetreten und hatte ihn erschreckt. »Es ist ein gutes Bild. Jetzt weiß ich, wer jenen Krieg wirklich gewonnen hat.«
»Ohne Zweifel. Unglücklicherweise habe ich von dieser Insel nie gehört, weder vorher noch nachher. Jemand sagte, es sei eine der Salomoninseln. Ich glaube, die haben sie in den fünfziger Jahren in die Luft gejagt. Gehörte nicht viel dazu. Ein paar Knallfrösche würden das schon bewirken. Hier.« Herron trat vor Matlock hin und reichte ihm ein Glas.
»Danke. Sie sind viel zu bescheiden. Ich habe die Geschichten gehört.«
»Ich auch.
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