Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
aufsteigen; er fragte sich, was Prime gesagt hatte, dass sein
Vater so lachte. Aber dann begriff er, dass sein Vater kein Misstrauen entwickeln würde, solange er sich über Primes Witze amüsierte.
Wieder musste John an seine heikle Lage denken, und je mehr er darüber nachdachte, desto größere Sorgen machte er sich. Im Grunde war Prime er selbst. Daher war er … eigentlich ein Niemand. Wäre es wirklich so schwer, sich in seinem Leben einzunisten, sein Leben zu übernehmen? Keineswegs, bei genauerem Nachdenken. John hatte nur wenige wirklich enge Beziehungen zu anderen. Ein paar Begegnungen der letzten Zeit hatte nur er erlebt, doch in einem Monat würde das alles Schnee von gestern sein. Er hatte keine Freundin, keine echten Freunde, außer Erik, und diese Freundschaft endete am Rande des Basketballfelds. Am schwierigsten würde es wohl sein, ihn in der Schule zu ersetzen, aber selbst das war machbar. Der Stoff war in allen Fächern kinderleicht, außer in Physik für Fortgeschrittene, und da fingen sie am Montag mit einem neuen Thema an. Nein, es konnte kaum einfacher sein – als hätte man eine Sollbruchstelle in Johns Leben eingebaut.
Doch was würde ihn in einem anderen Universum erwarten? Hatte man dort wissenschaftliche Fortschritte gemacht, von denen man hier noch träumte? Würde er einfach eine wissenschaftliche Fachzeitschrift kopieren und hierher mitnehmen können? Vielleicht hatte dort jemand die Weltformel entdeckt? Oder eine einfache Lösung für Fermats letzten Satz? Oder … Aber was wollte er mit fremden Ideen? Sollte er sie etwa unter seinem Namen veröffentlichen? War das besser als Primes Plan, durch Rubiks Würfel reich zu werden – was auch immer das sein sollte? Er lachte und griff nach seinem Physikbuch. Nein, er musste sich vorerst auf dieses Universum konzentrieren. Schließlich ging es am Montag mit Quantenmechanik los.
»Mittagessen!«
Überrascht blickte John von dem Physikbuch auf. Prime stand neben ihm und hielt ihm ein Sandwich vor die Nase.
»Warst du etwa drinnen?«, fragte John erschrocken. »Ich hab doch gesagt, dass du nicht ins Haus gehen sollst!«
Prime zuckte mit den Achseln. »Was soll’s? Auch deiner Mutter ist nichts aufgefallen.«
Als John das Sandwich entgegennahm, fiel ihm auf, dass Prime irgendwie anders aussah als vorher. Er war von oben bis unten mit Harz verschmiert, auf seiner Wange glänzte ein Kratzer, und seine Klamotten waren völlig verdreckt. »Du siehst glücklich aus«, meinte John.
Prime zuckte zusammen. Er blickte an sich hinab und lächelte. »Mir geht’s ja auch gut. Ist eine Weile her, dass ich das letzte Mal Äpfel gepflückt hab.«
»Du warst ja auch eine Weile unterwegs«, nuschelte John mit vollem Mund.
»Genau. Du hast keine Ahnung, wie gut du es hier hast. Warum willst du überhaupt weg auf die Uni?«
John lachte. »Ja, die ersten fünfzehn Jahre ist es hier ganz toll, aber dann wird es langsam langweilig.«
»Da wirst du wohl Recht haben.«
John reichte Prime den Mantel. »Was erwartet mich im nächsten Universum?«
Prime fixierte ihn. »Du nimmst mein Angebot also an?«
Einen Augenblick dachte John nach, aber die Entscheidung war bereits gefallen: Er musste einfach herausfinden, ob Prime völlig durchgeknallt war oder ob er ihm tatsächlich ein unglaubliches Geschenk machen wollte. Falls er wirklich verrückt war, würde John ja nichts dabei verlieren und sich in aller Ruhe darum kümmern können, ihn wieder loszuwerden. Doch falls das Gerät funktionierte, stand ihm das ganze Universum mit einer Vielfalt von Welten offen.
John hielt Primes Blick stand. »Ja, denke schon. Aber was erwartet mich denn nun?«
»Das nächste Universum ist diesem hier ziemlich ähnlich. Ich weiß nicht mal, was genau dort anders ist.«
»Also gibt es uns – ich meine, einen von uns – auch im nächsten Universum?«
»Ja. An deiner Stelle würde ich aber nicht versuchen, ihn zu kontaktieren. Schließlich hat er keine Ahnung, dass wir existieren.«
»Warum hast du eigentlich ausgerechnet mit mir gesprochen? Warum nicht mit einem anderen von uns? Oder mit uns allen?«
»Weil ich mich hier zu Hause fühle. Hier ist es wie in meiner Erinnerung.«
»Das heißt, unter all den Universen ist dieses hier deiner Welt am ähnlichsten? Wie anders sind die anderen Johns denn? So groß können die Unterschiede doch nicht sein!«
»Willst du das wirklich hören?«
John nickte.
»Also, es gibt ein paar Sorten von uns. Einmal ist da der Junge
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