Die Maurin
legte den Arm um sie. »Jetzt geht unsere Odyssee weiter.«
»Ist der Ort so sehr zerstört?«, fragte Zahra erschrocken.
»Das ist noch nicht einmal das Schlimmste«, erwiderte Jaime. »Die Kastilier kämpfen in der ganzen Region. Das hier war nur ein kleiner, verstreuter Haufen, sonst hätten wir auch keine Chance gegen sie gehabt. Einem sterbenden Kastilier habe ich ein paar Neuigkeiten entlocken können. Als ich seine Hand ergriff, hielt er mich für seinen Bruder; mein maurisches Gewand hat er gar nicht wahrgenommen. Er wollte nur reden, statt an den Tod zu denken. Die Mauren haben zwei neue Verbündete: den Großfürsten Nayazet und den Großsultan von Ägypten. Sie haben mit Boabdil einen Bund zum Schutz von al-Andalus geschlossen. Jetzt wollen die Christen mit allen Mitteln verhindern, dass sie hier an Land gehen.«
»Heißt das, sie versuchen, den Mauren die Seehäfen abzunehmen?«
Jaime nickte. »Fernando ist mit einer gewaltigen Truppe von Córdoba aufgebrochen, um die Seestädte zu erobern. Der größte Teil seiner Truppe ist noch hinter uns. Wir müssen hier weg, Zahra, wir alle, und das, ehe die nächsten christlichen Truppen auftauchen. Gleich morgen früh brechen wir gen Málaga auf.«
»Aber das ist doch auch Fernandos Ziel!«
»Schon, aber von dort können wir per Schiff weiter – derzeit zumindest noch. Würden wir in die andere Richtung gehen, liefen wir Fernandos Truppen direkt in die Arme!«
Zahra senkte den Kopf auf Jaimes Schulter und wünschte sich, dass die Zeit einfach stehenblieb. Doch je länger sie warteten, desto enger zog sich das Netz um sie zusammen.
2.
Maurische Berge
17 . Mai 1487
J aime versuchte vergeblich, auch die anderen Einwohner des Ortes zur Flucht zu bewegen. Dies hier war ihr Grund und Boden, lieber wollten sie sterben, als ihn aufzugeben. Trotzdem verstanden sie, dass Jaime mit seiner Familie weiterzog. Obwohl der größte Teil ihrer Ernte in Flammen aufgegangen war, versahen sie Zahra und Jaime großzügig mit Proviant, damit sie auf ihrem Weg nach Málaga nicht auf die Hilfe anderer angewiesen waren. Jaime, dessen Geldkatze noch immer einigermaßen gefüllt war, entlohnte sie großzügig. Als sie aufbrachen, umarmten die Männer Jaime und die Frauen Zahra und ihren Sohn. »In Gedanken sind wir bei euch. Möge Gott eure Wege beschützen!«
Am meisten berührte Zahra zu sehen, wie schwer Jaime der Abschied von den Menschen hier fiel. Sie hatten fast ein Jahr hier gelebt, und es war eine gute, glückliche, sorgenfreie Zeit gewesen. Zahra ahnte, dass dies lange nicht mehr der Fall sein würde.
Sie hatten kaum zwei Tagesritte zurückgelegt, als sich Zahra auf ihrem Pferd vor Schmerzen krümmte. Jaime half ihr absteigen und führte sie zu einem Findling. »Was hast du?«, fragte er besorgt und fühlte ihr die Stirn.
»Ich habe kein Fieber, Jaime, es ist das Kind. Ich fürchte, es geht los.«
»Aber das ist doch noch viel zu früh!«
Das Einsetzen der nächsten Wehe enthob Zahra einer Antwort. »Lass mich«, stöhnte sie. »O Gott, ich muss mich hinlegen!«
»Komm, ich bring dich zu den Bäumen!«
»Ich kann nicht, Jaime. Beim Allmächtigen, es tut so weh, es ist viel schlimmer als bei Abdarrahmans Geburt!«
Jaime sah sich um und entdeckte eine Höhle. Mit Decken bereitete er in ihrem Inneren ein notdürftiges Lager und trug Zahra trotz ihres Protests und Stöhnens dorthin. Bei jedem Klagelaut fuhr er zusammen. »Verdammt, Zahra, wir brauchen eine Hebamme!«
»Ich stehe das schon durch. Bitte, Jaime, lass mich jetzt nicht allein!«
Die Geburt zog sich hin, aber auch als Zahra schon Presswehen hatte, rutschte ihr Kind nicht tiefer.
»Um Himmels willen, wir brauchen Hilfe!« Schon längst rann Jaime der Schweiß ebenso heftig die Stirn herunter wie Zahra, obwohl er nicht viel mehr tun konnte, als ihr die Hand zu halten und ihr den Rücken zu massieren. »So glaub mir doch, da stimmt etwas nicht. Wir brauchen eine Hebamme!«
Inzwischen war Zahra so geschwächt, dass sie keinen Widerspruch mehr erheben konnte. Selbst der Tod wäre ihr lieber gewesen, als weiter diese Höllenqualen zu durchleiden. Da sie nichts erwiderte, erklärte Jaime Abdarrahman, dass er jetzt tapfer sein und allein auf seine Mutter aufpassen müsse, und jagte auf Barbakan zum nächsten Dorf.
»Wo finde ich die
qibala?«,
fragte er die erste Frau, die er auf der Straße traf. Sie wies ihm den Weg zu der weisen Frau des Ortes, einer mürrischen, zahnlosen Alten, die Jaime wenig
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