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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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machte Jaime. »Scht!« Wie ein Kind wiegte er sie in den Armen.
    Allmählich beruhigte sich Zahra, doch die Furcht wich nicht von ihr. Ihr Herz stach, ihr Körper war wie steifgefroren. »Jaime, ich habe solche Angst!«
    »Dann lass uns endlich von hier weggehen!«
    »Aber …«
    »Nein, kein Aber, verdammt!«, donnerte Jaime. Er ging hinaus in den Patio, kam mit einem glimmenden Kienspann zurück und entzündete die Öllampe, die neben ihrer Schlafstatt stand. Dann setzte er sich wieder neben Zahra. »Was muss denn noch geschehen, damit du einsiehst, dass wir nicht länger hierbleiben können? Die Christen verwüsten die Vega und unterwerfen einen Ort nach dem anderen, aber alles, was ich von dir dazu höre, ist: Raschid sagt, auf der Seidenfarm seien wir in Sicherheit, weil wir ganz nah an Granada sind. Heute sind wir vielleicht noch sicher, ja, aber was ist morgen? Zahra, zum Himmeldonnerwetter noch eins: Was ist morgen? Und komm mir jetzt nicht wieder mit deinem dämlichen Schutzgeist, oder meinst du wirklich, du wärst die Erste, die trotz eines Schutzrings an ihrem Finger von den Christen getötet wird?«
    »Aber es ist doch unser Land!« Zahra schluckte und wusste nichts weiter zu sagen.
     
    Am folgenden Tag ritt Zahra mit Raschid nach Granada. Bevor sie die Entscheidung traf, von hier wegzugehen, wollte sie mit Aischa reden und ihre Einschätzung der Lage hören. In all den Monaten hatte sie immer wieder vorgehabt, Aischa und Morayma zu besuchen, es dann aber doch nicht getan. Ihre Zeit an Aischas Hof lag so weit zurück und hatte mit ihrem heutigen Leben mit Jaime und den Kindern kaum noch etwas zu tun … Aber als sie jetzt die Stufen des Comaresturms hochstieg und sie Kafur, genau wie früher, vor Aischas Gemächern stehen sah, da war ihr früheres Leben mit einem Mal wieder so präsent, als sei alles erst gestern gewesen. Plötzlich ging Zahra nichts mehr schnell genug: Sie nahm die letzten Stufen mit zwei großen Schritten und sank an Kafurs Brust.
    »Ach, Sternchen, Sternchen«, raunte der Eunuch und drückte sie mit einem tiefen Seufzer an sich. Zahra brachte kein Wort hervor. Zu stark waren die Erinnerungen: Wie Kafur sie nach Hause gebracht und mit ihr geschimpft hatte, weil sie ihm zu viel herumsprang, ihre Reise zu Boabdil und welche Hoffnungen sie damals gehegt hatten … Sie lösten ihre Umarmung und sahen sich schweigend an. Zahra bemerkte viele neue Falten auf Kafurs Stirn und um seine milden Augen, sein grau gewordenes Haar, seinen gebeugten Rücken. Wie alt du geworden bist, guter Kafur, dachte sie wehmütig.
    »Aischa wird sich freuen, dich zu sehen, Sternchen«, brummte Kafur und nickte ihr aufmunternd zu. »Soll ich dich anmelden?«
    Zahra nickte. Schon kurz darauf hörte sie Aischa rufen: »Aber ja doch, Kafur, lass sie rein!«
    Als Zahra den großen Raum betrat, fand sie Aischa statuengleich auf dem Diwan liegend vor; noch immer umgab sie eine unvergleichliche Aura von Würde und Erhabenheit. Sechs lange Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Die Züge der Verbitterung um Aischas Mund waren noch einschneidender geworden, aber ihre Augen strahlten noch die gleiche, unbezwingbare Kraft aus wie früher. Auch die monatelange Kerkerhaft unter az-Zagal hatte sie nicht brechen können. Zahra begrüßte die Gebieterin Granadas mit einer tiefen Verbeugung, aus der sie sich erst erhob, als Aischa es ihr erlaubte. »Komm her, Zahra, und setz dich zu mir!«
    Zahra wollte sich auf einem der Sitzkissen niederlassen, doch Aischa zog sie zu sich auf den Diwan und nahm ihr eigenhändig den Niqab und den Hidschab ab. »Lass dich ansehen. Du bist reifer geworden, ein wenig voller in den Wangen – und noch schöner!« Mit einer gemächlichen Geste strich sie ihr schweres, einst nachtschwarzes, jetzt silbrig durchwebtes Haar über der Stirn zurück. »Und drei Kinder hast du, sagt Raschid, und wie wundervoll sie seien!«
    Zahra nickte und blickte Aischa lange an.
    Diese richtete sich ein Stück auf, als fühle sie sich unter ihrem prüfenden Blick unwohl. »Die Zeit hat an mir andere Spuren als an dir hinterlassen. Der Niedergang unseres Landes … Nie hätte ich für möglich gehalten, dass es so weit kommen könnte.«
    »Noch ist nicht alles verloren«, erwiderte Zahra mit mehr Furcht als Überzeugung in der Stimme.
    »Nein, noch nicht«, erwiderte Aischa mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme und wiederholte noch einmal bedeutungsschwer: »Noch nicht.«
    »So befürchtet also auch Ihr, dass die

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