Die Maurin
einmal dann zu gewinnen, als die Mauren die Staustelle am nächsten Tag so stark gesichert hatten, dass selbst Jaime keinen Ausfall mehr wagte und auch noch der letzte, magere Zufluss versiegte.
»Die Hälfte der maurischen Gefangenen ist bereits verdurstet, und in spätestens zwei Tagen wird es die ersten unserer Leute treffen!«, hielt Gonzalo dem Marqués vor, doch der zuckte mit den Schultern und blickte in die Ferne, ob nicht endlich die angeforderte Hilfe kam.
Am nächsten Tag ließ Gonzalo selbst den Soldaten nur noch einen halben Becher Wasser aushändigen, alle anderen bekamen gar keins mehr. Die qualvollen Schreie der Verdurstenden hallten durch die Stadt. Viele litten an Halluzinationen und geisterten, wie Blinde vor sich hin tastend, durch die Straßen. Einige bestiegen den Wehrgang, sahen am Grund der anderen Seite imaginäre Seen und stürzten sich mit einem seligen Lächeln auf den aufgesprungenen Lippen hinab. Und noch immer nahte keine Hilfe von außen.
Auch Gonzalo schwanden die Kräfte, und er wunderte sich, woher sein Bruder Jaime die Energie nahm, noch immer über die Mauren zu schimpfen. Ihm war längst alles einerlei, und bisweilen flackerte der Gedanke in ihm auf, dass die Mauren, wenn sie jetzt wieder Sturmleitern aufstellen würden, auf dem Wehrgang kaum noch auf Widerstand träfen. Fast wünschte er, sie täten es – dann hätte ihr Leiden ein Ende, er ahnte aber, dass sie dies nicht tun würden. Warum auch? Sie würden hier ohnehin alle verdursten und müssten danach nur noch aufgesammelt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen werden.
Immer öfter versank Gonzalo in wirren Tagträumen, in denen meist die bestürzend blauen Augen des maurischen Mädchens auftauchten, das er zum ersten Mal in der Alhambra erblickt hatte. Diesmal wurde ihr Gesicht von keinem Schleier bedeckt. Ihre Haut war kaum dunkler als geschälte Mandeln und nicht weniger makellos. Ein verheißungsvolles Lächeln umspielte ihren feingeschwungenen Mund. Sie trat auf ihn zu und küsste ihn, und ihr Kuss war kühl und erquickend wie reinstes Quellwasser.
In der Tat vergingen noch einmal drei elende Tage, Tage, in denen die Menschen grauenvoll siechten, bis ein Soldat vom Wehrturm herunterkrächzte: »Die Flagge des Herzogs von Medina Sidonia und auch die des Königs und all die Soldaten – mein Gott, es sind so viele, die uns zu Hilfe eilen!«
Im ersten Moment hielt Gonzalo wie die meisten anderen, die noch bei halbwegs klarem Verstand waren, den Soldaten für ebenso wahnsinnig wie jene, die sich nach wie vor auf der Suche nach Wasser vom Wehrgang stürzten, aber dann riefen immer mehr Wachsoldaten die gleiche Nachricht, und so rappelte sich Gonzalo doch von seinem Lager auf und schleppte sich zum Wehrgang hoch. Tatsächlich ritt von dem Hügel eine ganze Armee heran.
Vier Tage dauerten die Kämpfe der Christen gegen die Mauren, Tage, in denen die Menschen in der Stadt Alhama weiter verdursteten, aber dann hatten die Christen die Mauren in die Flucht geschlagen. Als die in der Stadt belagerten Christen die Mauren abziehen sahen, weinten sie vor Erleichterung. Gonzalo schleppte sich zusammen mit seinem Bruder Jaime ans Stadttor, um ihre Retter einzulassen. Er blinzelte in die fahle Januarsonne hinaus auf das Feld, und mit einem Mal war ihm, als sähe er es zum ersten Mal. Tote Mauren lagen dort auf toten Christen, und tote Christen auf toten Mauren. Grauen befiel Gonzalo, und er wusste nicht, ob es wirklich ein Segen war, zu den Geretteten zu gehören.
6.
Granada
8 . Februar 1482
M it wehenden Kleidern eilte Laila in den weitläufigen Empfangsraum des Comaresturms zu ihrer Herrin und sah diese mit solch drängendem Blick an, dass Aischa ihre Unterredung mit dem Wesir und dem Faqih unterbrach und zu ihr aufsah. »Was gibt es?«
Laila flüsterte ihr etwas ins Ohr. Aischa nickte ihr zu und befahl ihr, zu ihrem anderen Gefolge ins Nebenzimmer zu gehen. Nur Zahra sollte weiter an ihrer Seite bleiben.
»Ich bedaure es zutiefst«, wandte sich Aischa an ihre Gäste, die ihr gegenüber auf niedrigen Polstern saßen, »aber es scheint angeraten zu sein, unsere Unterredung ein anderes Mal fortzuführen.«
Der Wesir strich sich über seinen langen, weißen Bart. In seinen kleinen, gütigen Augen stand eine unausgesprochene Frage. Aischas Antwort war ein Nicken.
Der Wesir seufzte. »Auch dies hätte dann endlich ein Ende«, gab er mit einem vielsagenden Blick zu bedenken.
»Noch sind wir aber nicht so weit«,
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