Die Maurin
Qualitäten haben, aber keiner von ihnen wird alle wichtigen Gegner Hassans hinter sich vereinen können und somit nicht für Frieden, sondern nur für noch mehr Unruhe sorgen. Unser Volk einen und mit den Christen Frieden schließen – das kann nur einer!«
Zahra erschrak. »Aber Ihr denkt doch nicht etwa an …«
»Doch, Zahra.« Aischa nickte nachdrücklich. »Ich denke an meinen Sohn Boabdil. Nur er ist dazu in der Lage, und nur ihm steht der Thron der Nasriden zu. Er allein ist der rechtmäßige Erbe!«
»Aber Euer Sohn ist in Almería«, stotterte Zahra. »Und er hat keine Armee, die er gegen Hassan einsetzen könnte.«
»Boabdil braucht keine Armee; nicht bei der derzeitigen Stimmung. Wenn er erst einmal hier ist, werden die Menschen ihm in Massen zuströmen und ihn unterstützen, weil sie wissen, dass er und niemand anders von Allah,
ta’ala,
als Hassans Nachfolger bestimmt wurde.«
Zahra fiel ein, dass auch ihr Vater, der seit einigen Tagen von Alhama zurück war, am Vorabend geäußert hatte, welche Tragödie es sei, dass der aufbrausende Hassan und nicht sein besonnener Sohn die Geschicke Granadas lenke. Womöglich hatte Aischa recht, und der überwiegende Teil der maßgeblichen Männer Granadas sah das derzeit so.
»Aber wie soll Boabdil hierherkommen? Er lebt in Almería beinahe ebenso abgeschottet wie Ihr hier. Selbst Eure Nachrichten an ihn treffen zumeist nicht bei ihm ein, weil Hassans Spione sie unterwegs abfangen oder Boabdil wieder einmal aus Angst vor einem Mordanschlag das Domizil gewechselt hat. Und selbst wenn Boabdil hier wäre: Würden Hassans Häscher ihn nicht töten, ehe Euer Sohn auch nur ein Wort mit Hassans Gegner wechseln kann?«
»Für Boabdils Schutz hier werde ich sorgen, und ich kann dir versichern, dass außer meinem eigenen Geschlecht, den Nasriden, auch die mächtige Sippe der Banu Sarrag hinter mir steht. Aber mehr werde ich dir dazu nicht sagen, es ist besser für dich, wenn du darüber möglichst wenig weißt.« Aischa sah Zahra eindringlich an. »Kommen wir auf deine erste Frage zurück. Boabdil hierherzubringen wird nicht einfach sein, zumal ich befürchte, dass er sich nach der langen Zeit im Exil scheuen wird, an den Hof zurückzukehren, wo er wieder Opfer von Intrigen und Mordkomplotten zu werden droht. Es wird einiges an Überzeugungsarbeit vonnöten sein, Zahra, aber ich bin sicher, dass es dir gelingen wird.«
»Mi-mir?«, stammelte Zahra. »Aber wieso mir? Und ich kann auch gar nicht, ich meine … Beim Allmächtigen! Warum bittet Ihr nicht den Wesir, jemanden zu Boabdil zu schicken, oder seinen Faqih oder …«
Aischa schüttelte so entschieden den Kopf, dass Zahra ihre weiteren Worte im Hals steckenblieben.
»Der Wesir und der Faqih würden Boabdil erst dann als Nachfolger Hassans akzeptieren, wenn er hier wäre. Solange er es nicht ist, werden sie die anderen Männer favorisieren. Boabdil kann den Thron nur erobern, wenn er vor Ort ist. Nur dann werden sich die mächtigen Familien Granadas zu ihm bekennen – aber niemand, hörst du, niemand von ihnen wird ihn holen gehen!«
»Und Ismail ibn Badr?«, fragte Zahra kläglich. »Er ist doch sein Freund …«
»Aber zugleich ist er auch der Alcalde von Granada. Seine Position verbietet es ihm, nach Almería zu reiten. Das käme einem Bekenntnis zu Boabdil gleich und wäre ein Affront gegen Hassan, der von diesem als Hochverrat ausgelegt werden könnte. Aber sei gewiss, dass auch Ismail Boabdil, sobald er hier ist, mit all seiner Macht unterstützen wird. Es ist etwas anderes, eine Kugel ins Rollen zu bringen, als sich von einer Lawine mitreißen zu lassen.«
Zahra hob unglücklich die Schultern. »Aber wieso ausgerechnet ich?«
»Weil du als Einzige keinen Verdacht erregen wirst. Außerdem hätte ich bei jedem anderen Angst, dass er Boabdil auf dem Weg hierher tötet. Du weißt, welch hohe Belohnung Hassan auf den Kopf unseres Sohnes ausgesetzt hat!«
»Aber ich kann doch nicht mutterseelenallein bis nach Almería reiten! Wahrscheinlich würde ich Boabdils Domizil auch gar nicht finden, und wie soll ich mich gegen Straßenräuber und Wegelagerer zur Wehr setzen?«
»Ich weiß, dass diese Reise nicht ungefährlich ist, aber erinnerst du dich daran, dass du noch vor drei Tagen zu mir gesagt hast, du würdest alles dafür geben, wenn du nur nicht nächste Woche mit deinem Vater und Hayat nach Marokko reisen und dort diesen Ibrahim heiraten müsstest?« Ein Lächeln blitzte in Aischas Augen auf.
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