Die Maya-Midgard-Mission
errötete, aber ihre Zunge ließ sich am heut igen Abend nicht im Zaum halten. "Offenbar nicht, aber dem kann ich Abhilfe schaffen. Ich bin seit ungefähr zwanzig Jahren auf der Spur dieser Bücher. Einer meiner deutschen Landsleute, ein toller Mensch und begnadeter Lehrer, hat mich auf die Spur gebracht. Ich glaube, ich habe noch nie ein historisches Geheimnis zu lüften versucht, dass gleichermaßen so wenig bekannt wie bedeutend für die Menschheit zu sein scheint. Ich kenne die meisten Spekulationen über den Charakter der Bücher der Sechsten Sonne. Aber ich teile die Einschätzungen nur bedingt. Die Maya besitzen einen Langzeitkalender. Dieser Kalender richtet sich nach der Sonne. Von der Schöpfung bis zum heutigen Tage haben wir Menschen nach Mayarechnung vier komplette Sonnenzyklen durchlaufen und befinden uns im fünften Abschnitt, dem Zeitalter des Jaguars. Das Ende eines solchen Zyklus' war von erheblichen Turbulenzen begleitet. Die Maya beschrieben uns Erdbeben, Vulkanausbrüche, Sintfluten und andere Katastrophenszenarien, die auch aus den christlichen sowie den fernöstlichen Schöpfungsgeschichten bekannt sind. Was sie uns bisher nicht verrieten, ist der genaue Zeitpunkt, an dem die Periode der Sechsten Sonne endet, ob die sechste Phase die letzte einleitet, oder ob es wie im Brahman sieben Sonnen gibt. Auch über die dann drohenden Katastrophen schweigen die Weissagungen und Überlieferungen, soweit sie bekannt sind. An diesem Punkt, so vermute ich, öffnen sich nun die Bücher der Sechsten Sonne und – da wir sie nicht kennen – den Spekulationen Tür und Tor. Meine ganz private Meinung ist, dass diese Bibel der Maya der Menschheit eine alternative Schöpfungsgeschichte erzählt, dass sie aber weit darüber hinaus die Summe des kulturellen, spirituellen, sozialen und naturwissenschaftlich-mathematischen Wissens vieler Generationen eines uns wenig bekannten Typus' Mensch darstellen. Sie müssen bedenken, dass sich die Maya in einem anderen Kosmos bewegten als wir. Ihre Welt war authentischer, emotionaler, mythischer, eben multidimensionaler als unsere nüchterne, lineare Gegenwart. Ich hoffe, Sie können mir folgen."
»Das haut ihn um!« , lamentierte Stimmchen.
" Einfach umwerfend, Frau Doktor!", kommentierte Pater Domnall O'Domhnaill, ignorierte Darias Ironie und erhob sein Glas Rumpunsch, bis die schillernde Flüssigkeit, das Mondlicht spiegelte. "Aber so nüchtern finde ich uns gar nicht. Unser gemeinsamer Freund kann sich nur noch mühsam das Schnarchen verkneifen, entschuldige Kautsky."
Kautsky saß auf einem Schaukelstuhl im hinteren, ruhigen Teil der Veranda und murmelte eine unverständliche Erwiderung.
Der große Ire suchte Darias Augen, und noch bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, wechselte seine amüsierte Miene zu einem eher schuldbewussten Ausdruck. Der Mann war ein Meister der Mimik.
" Sie zählen eindeutig zur Gattung der Tarnfalter, Pater", sagte Daria milder als beabsichtigt.
Kautsky war aufgewacht und brummte: "Bei den Katholischen geht der Heiligkeit das Stadium der Scheinheiligkeit voran."
" Ein guter Tropfen lockert die Stimmung", sagte O'Domhnaill. "Heißt aber nicht, dass ich die ernsthafte Auseinandersetzung scheue. Leider muss ich Ihnen in der Beurteilung des teilweise verbrecherischen Treibens meiner Kirchenbrüder Recht geben. Ich zähle missionarischen Eifer, ob ideologisch oder religiös verbrämt, mit zu den schlimmsten Eigenschaften unserer Spezies. Die Maya müssen da ja völlig anders gedacht haben, dass sie ihre göttliche Botschaft bar jeden Sendungsbewusstseins derart gründlich versteckt haben. Wo wollen Sie eigentlich mit Ihrer Suche beginnen?"
Daria Delfonte hörte den amüsierten Ton des Priesters, aber sie hörte auch den kritischen Geist hinter seinen Worten. "Nun, übermorgen kommt ein Hubschrauber, mit dem wir zuerst eine Erkundung aus der Luft starten. Dann will ich natürlich die alte Dame befragen, der die Inseln gehören..."
" Mrs. Mortenson wird Ihnen nicht helfen. Die rüstige Lady ist mindestens genauso steinhart wie ihr Haus aus Massachusetts-Granit."
" Sie kennen sie?"
" Sie hat mir eine Audienz gewährt. Meine Gebete wurden erhört. Ich durfte die Inseln mit meiner Leica durchstöbern."
" Vielleicht darf ich ja auf Ihr Geschick mit Damen zurückgreifen", sagte Daria und verschluckte sich fast.
Der Ire missachtete ihren ironischen Unterton. "Okay, aber zuerst muss ich ein bisschen mehr über die Maya erfahren, Mylady
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