Die Maya-Midgard-Mission
unter das Publikum, aß ein paar Happen und wunderte sich über sich selbst und ihre Begeisterung, sich mit Domnall O'Domhnaill zu necken. Die lachenden Augen des hünenhaften Kirchenmannes wollten ihr die ganze Nacht nicht aus dem Sinn.
Stimmchen kicherte: »Verliebt, verlobt, verheiratet!«
Aber Daria genoss es einfach, sich locker wie lange nicht unter u nkomplizierten Menschen in Urlaubsstimmung zu bewegen; hier ein Schwätzchen zu halten; dort über einen Witz zu lachen; und überall, weichgepackt wie auf einer Schäfchenwolke, durch die Menge zu schweben. Sie genoss den Mondscheinplausch, den blumigen Wein, die milde Nachtluft und das ziellose Dahingleiten durch eine zauberhafte Nacht. Sie fühlte sich beinahe wie einer von Pater O'Domhnaills Schmetterlingen: beschwingt und froh, endlich ihrem Kokon aus Arbeit, Trauer und Schmerz entronnen zu sein. Sie scherzte mit Paulette und Guillaume Raboux, einem französischen Fabrikanten-Ehepaar, lachte über die Anekdoten des Hotelmanagers, Sean Gandi, flirtete mit Peter und dem Pater, und ihre Lebenslust hatte sogar den Griesgram von Stimmchen zum Verstummen gebracht. Bibel hin, Bibel her! Tony Larkins, die Mayas, Wikinger oder Kelten, ja, die gesamte übrige Welt, lagen wie die Erinnerung an etwas längst Vergangenes – den Verlust ihrer Milchzähne etwa – in weiter Ferne. Sie fühlte sich so reif, so erwachsen, so frei, so vital. Es schien, als hätte sie immer schon hierher gehört. Das Morgen focht sie nicht an. Kurzum: Aurora und die Aureolen hatten sie völlig vereinnahmt.
Diese Hochstimmung begleitete sie durch die Nacht. Zum krönenden Abschluss gab es noch eine musikalische Einlage, die in einem stillg elegten Steinbruch am Fuße des Mount Cornucopia gleich hinter der Villa Aurora stattfand. Zwei karibische Matronen hatten das Blut der Nachtschwärmer nochmals so richtig in Wallung gebracht. Obwohl auf den Auroren wie in der gesamten Karibik kaum noch Ureinwohner, also Nachfahren der Karaiben oder Arawak lebten, gab es doch einen gemeinsamen Stil, das eine karibische Lebensgefühl. Das fand seinen Ausdruck im Limbo, im Calypso und im Voodoo. Dieses Dreigestirn aus Tanz, Gesang und Magie versinnbildlichte mehr als jedes Geschichtsbuch oder Gespräch die erstaunliche Biegsamkeit, Beweglichkeit und Flexibilität der Westinder, die doch eigentlich Ostamerikaner waren.
Brontë und Saba, die beiden ebenso beleibten wie beliebten Hau smädchen der Villa Aurora, stammten von den Inseln Barbados und Haiti. Sie veranstalteten auch die allwöchentliche Sundowner Show im winzigen Amphitheater Auroras. "Amphitheater war zuviel gesagt", dachte Daria. Aber der alte Steinbruch bot Atmosphäre in einer unverbauten Naturkulisse. Durch ein furioses Feuerwerk aus getanzten Gedichten, magischen Gesängen und hinreißend eleusischen Gebeten, begleitet vom verführerisch dargebotenen Schlängeln seidenverhüllter Körper, mit Hilfe des Raschelns und Knisterns rauchiger Stimmen und des nervenzerfetzenden Stakkatos der Steeldrums, ließen Saba und Brontë die Funken stieben, dass man selbst als unterkühlter Mitteleuropäer Feuer fangen musste, ja lichterloh in Flammen stand. Möglich, dass der Rumpunsch sein Quäntchen zu Darias Enthusiasmus beigetragen hatte. Beim bloßen Gedanken an das Schlusslied der Vorabendshow bekam sie eine Gänsehaut:
" Ve goin' wet, ve goin' wise, ve goin' endless paradise
Da wind will blow, da rain will fall,
de sun will shine not goot at all
Ve goin' wet, ve goin' wise, ve goin' endless paradise
An ' only if ya lookin' past,
ya heart will find wat lies foh-cast
Ve goin ' wet, ve goin' wise, ve goin' endless paradise
Den paradise come back to we,
me glad dat life again fly free
Ve goin' wet, ve goin' wise, ve goin' endless paradise."
hatten die Mädchen in schönstem Calypso-Pidgin-Englisch und mit den gutturalen Lauten, die ihrer Lebenslust tief aus dem Innern ihrer voluminösen Klangkörper heraus entsprangen, orakelt. Und die Steelband hatte die Weise für immer in ihr Gedächtnis gehämmert. Nach ihrem Empfinden verkörperten die beiden Haitianerinnen die unverfälscht sprühende, karibisch-kreolische Daseinsfreude, wie man sie sonst nur als Abziehbild aus dem Fernsehen oder von einem Reiseführer her kannte. Marimbas, Mardi Gras und Mocko Jumbi blieben dank zweier Zimmermädchen aus der Villa Aurora nicht länger nur leere Worthülsen. Wie nirgendwo sonst schien das Leben hier auf den Inseln wider die Winde
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