Die Maya-Midgard-Mission
"Lars, bitte, es lohnt sich nicht!"
Lars Gustafsson schwieg. Alle schwiegen. Sogar Raboux. Das Schwe igen drückte schwerer auf ihr Gemüt als die feuchtstickige Luft.
" Hört mal!", durchbrach Daria Delfonte die Stille. "Hört ihr es nicht? Dieses stete Plätschern? Ob das der Regen ist, der durch das Kalkgestein sickert? Was sagst du, Yaphet? Ist es der Regen? Oder werden wir gleich von einem Schwarm Fledermäuse besucht?"
Yaphet Kialu nahm die Frage dankbar auf. "Ich war nicht oft in dieser Höhle", sagte er. "Ein Unwetter wie dieses hatten wir noch nie, seit ich Aurora kenne. Aber einmal habe ich mir doch alles hier unten angesehen. Also, vor Fledermäusen braucht ihr keine Angst zu haben. Die gibt es hier nicht. Und auch keine Bären", fügte er müde scherzend hinzu. "Aber Dr. Delfonte hat richtig gehört. Da ist ein Rauschen und Plätschern. Das ist immer da. Wir sitzen hier im vorderen Teil des Höhlensystems. Jede Menge Gänge. Der hier endet in einer Art von Halle, mit vielen Tropfsteinen. Am Ende des rechten Tunnels ist ein unterirdisches Becken. Aus der Wand kommt ein Strahl Quellwasser. Manchmal ist er dünn wie ein Zweig und in der Regenzeit stark wie ein Männerarm. Im Augenblick muss der Wasserstrahl ziemlich dick sein, weil es so laut ist."
" Wohin fließt das Wasser?", fragte Carlos Caldera.
" Oh, es sammelt sich in dem Becken und versickert dann irgendwo. Im Innern der Insel, bei den Ruinen, da kommt es aus dem Berg, das Wasser und fließt in einen Bach. Der Bach teilt sich. Eine Hälfte fließt in den Mono-See, die andere mündet am südlichen Strand am Gloriolenwald ins Meer. Die Quelle ist Auroras einzige Wasserader. Sonst könnten wir hier gar nicht leben."
" Wasser gibts jedenfalls genug", murrte Lars Gustafsson. "Und Sturm und einen drohenden Tsunami..."
"Bis jetzt haben wir nur eine Warnung", knurrte Raboux.
"Aber wenn Yaphet Recht hat, dann müssen wir unbedingt höher klettern. Sonst ertrinken wir hier drin jämmerlich wie die Ratten…"
"Ratten können schwimmen. Die ertrinken nicht", unterbrach die Rothaarige den deutschen Bauern. "Außerdem sind wir die ganze Zeit geklettert. Ich bleib jetzt hier und ruh mich aus."
"Ich glaube, das können wir riskieren", sagte Daria. "Wer wie ich einen Schluck frisches, kühles Wasser trinken möchte, der begleitet uns. Die anderen bleiben hier, würde ich vorschlagen. Kann ich von Ihnen mehr über die Ruinen erfahren, Yaphet?"
Yaphet Kialu übernahm die Führung und fast alle schlossen sich an. Nur Raboux und Caldera mit ihren Frauen und ein paar junge Leute in Regenkleidung blieben im Gang zurück. Sie wollten nichts als raus, sobald der Wirbelsturm sich auf weniger lebensgefährliche Geschwindigkeiten verminderte.
In der kleinen unterirdischen Halle war es wirklich trockener und e rheblich leiser. Die meisten Flüchtlinge ließen sich erschöpft und mürrisch neben Dutzenden Stalagmiten nieder.
Daria trug immer noch ihr Kleid vom Vorabend, der ihr wie aus e inem anderen Leben schien. Sie drückte Kautsky ihr Sweatshirt und die Jeans in den Nacken und strich ihm über die heiße Stirn. "Wir holen Wasser, Peter, halten Sie durch."
Aber Kautsky hörte sie schon nicht mehr.
Daria, Domnall, Yaphet und ein paar Unentwegte brachen auf, um den Höhlensee zu erforschen. Die stickige, schwüle Luft in der Höhle macht das Klettern besonders beschwerlich. Und das diffuse Kerzenlicht war auch keine große Hilfe. Aber immerhin konnten sie etwas Sinnvolles tun und mussten nicht da hocken und sich der ohnmächtigen Langeweile ergeben.
Als sie den unterirdischen See völlig verschwitzt und mit Schürfwu nden und frischen, blauen Flecken an Füßen und Beinen endlich erreichten, waren sie zu müde, um länger aggressiv, wütend oder widerspenstig zu sein. Stattdessen genossen sie einfach das Bad. Das Wasser umschmeichelte sie weich und warm wie flüssige Seide und schien von magischer Konsistenz. Binnen Minuten spritzten und planschten und kreischten die eben noch Verzweifelten derart ausgelassen unter einem armdicken Duschstrahl, dass Daria sich fragte, welcher Schalk dem Schöpfer im Nacken gesessen haben mochte, als er den Menschen geschaffen hatte. Ein Wesen, das innerhalb kürzester Zeit zu solch gegensätzlichen Gefühlen wie abgrundtiefer Verzweiflung und himmelhoch jauchzendem Vergnügen fähig war, konnte nur der Einbildungskraft eines Schelms entsprungen sein. Andererseits war dieser Schelm gewitzt genug gewesen, seine Schöpfung durch die
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