Die Maya-Midgard-Mission
Dröhnender Lärm prasselte auf die Trommelfelle. Dem Wahnsinn nahe wünschten sich die Verzweifelten, sie wären geplatzt, damit das Rauschen endlich ein Ende nahm.
Der Orkan blies Äste und Zweige ins Höhleninnere hinein. Wasse rtropfen schlugen wie Gewehrkugeln ein. Ein stetes Rinnsal floss an den nackten Felswänden hinab. Das Wasser, das zunächst noch versickert war, begann sich in Lachen und Pfützen zu sammeln. Der Luftzug kräuselte die Oberfläche der kleinen Seenplatte. Es wurde immer feuchter und ungemütlicher.
Und dann herrschte eine jähe Stille.
Außer Keuchen und Stöhnen hörte man nichts.
"Kommen Sie, Kialu! Zeigen Sie mir das Mobilteil", befahl Caldera. "Ich glaube nicht, dass das Auge des Sturms uns lange verschont.
Zwei Minuten später kamen die beiden Männer zurück gerannt und drängten durch die Lücke zwischen der zerstörten Rollwand und dem Felsgestein.
"Wir müssen hier weg! Wir müssen hier weg!", schrie Yaphet Kialu mit heller Stimme. "Das Wasser ist verschwunden. Ich glaube, wir werden gleich von einem Tsunami getroffen. Höher! Wir müssen hoch nach oben."
Und wie auf Regie-Anweisung setzte das Tosen des Sturmes wieder ein und ließ nur eine Fluchtrichtung zu.
Der Weg ins Innere der Höhle war beschwerlich. Der Sog des Orkans zerrte an den durchnässten Menschen, die über den Boden krochen und sich in vollkommener Dunkelheit bewegen mussten. Große Tropfsteine an Boden und Decke behinderten sie zusätzlich. Es gab Schürfwunden, Prellungen und blutige Köpfe. Aber verbissen kämpften sie sich Meter für Meter tiefer ins Höhleninnere vor. Caldera und Kialu hatten die Führung übernommen. Daria und Pater O'Dom bildeten die Nachhut. Mit vereinten Kräften schleiften sie den geschwächten Kautsky hinter sich her. Daria hatte das Gefühl, das der alte Mann langsam verblutete. Nach endlosen Minuten, die ihnen wie Stunden erschienen, erreichten die Höhlenflüchtlinge eine breite, flache Stelle ohne Tropfsteine und Geröll. Da sie mehrere Biegungen hinter sich gebracht hatten, konnte zumindest der Hurrikan ihnen nichts mehr anhaben. Ob sie aber auch an Höhe über dem Meeresspiegel gewonnen hatten, ließ sich unmöglich feststellen.
Yaphet Kialu hatte ein Sturmfeuerzeug. Er verteilte Kerzen, so dass sie ihre Wunden nicht in völliger Dunkelheit lecken mussten.
"Dem Pfadfinder sei Dank", sagte Caldera munter. Die Blicke der Umstehenden ließen ihn jedoch schnell verstummen. Niemand hatte vergessen, wem die missliche Lage wenigstens zum Teil zu verdanken war.
Daria und Domnall kümmerten sich um Kautsky. Seine Blutung war zum Stillstand gekommen, aber nach seiner gelblichen Gesichtsfarbe und dem flachen Atem zu schließen, hatte er sehr viel Blut verloren. "Durst", flüsterte er. "Wasser!" Und Daria machte sich auf die Suche nach etwas Trinkbarem.
Das flackernde Kerzenlicht beruhigte nicht jedermanns Nerven. Gui llaume Raboux begann erneut, sich mit seiner Frau über Lappalien zu streiten. Caldera drängte Yaphet Kialu, sich an Notfallpläne zu erinnern. Die übrige Gruppe befand sich in einem gefährlichen Zustand der Lethargie. Zuerst hatten sie halbherzig versucht, ein paar Lieder anzustimmen. Aber irgendwie schien das den meisten peinlich zu sein oder zu albern. Was einige zunächst als eine Art spaßiges Insel-Abenteuer à là Reality Soap betrachtet hatten, schien sich mehr und mehr zu einer höchst unerquicklichen Notlage zu entwickeln.
Lars Gustafsson, der schwedische Ingenieur, fasste es stellvertretend für viele in Worte: "Hätte man uns denn nicht warnen können, dass es in diesem verdammt idyllischen Paradies Monsterstürme und Hirnamputierte gibt, wegen denen man tagelang pitschenass im Dunkeln hocken muss?"
Das beredte Schweigen zeigte, dass die meisten Höhlenflüchtlinge Gustafssons Meinung teilten. Niemandem war nach Sche rzen zumute. Der allgemeine Tenor gab Carlos Caldera und Yaphet Kialu die Schuld für das ganze Schlamassel. Doch einzelne Menschen als verantwortlich für eine Naturkatastrophe zu bezichtigen, machte wenig Sinn. Und das teilte Daria Delfonte allen deutlich hörbar mit.
Zudem gaben Caldera und vor allem Kialu denkbar schlechte Sü ndenböcke ab. Alle Vorwürfe, die stillschweigenden wie die mürrisch vorgetragenen, prallten an Yaphets massiger Figur, an Calderas Arroganz und an ihrer beider Gleichmut ab, wie Schneebälle an einem Heizkessel.
" Lars!", sagte Britta Gustafsson, die das gefährliche Glimmen in Calderas Augen bemerkt hatte.
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