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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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Vergangenheit! Wie das karibische Bouquet aus Blütendüften, Salzwasserbrise und Lebenslust. Stattdessen schmeckte die abgestandene Luft nach Fäulnis, Verwesung und Schwefel.
    »Ein Hauch von Hölle!« , höhnte Stimmchen, aber das Lächeln blieb Daria im Halse stecken.
    Die vergangenen Tage hatten sich für alle Überlebenden zu einer Mi xtur aus Euphorie und Katzenjammer verquickt. Sie hatten es überlebt, als was auch immer dieses "Es" sich entpuppen mochte. Sie hatten es überlebt, und nun mussten sie damit leben.
    Für Daria bedeutete Leben: Gestalten. Die Aureolen mussten die Ph ase des kleinlichen Gezänks überwinden. Natürlich ließ sich auch mit negativer Energie formen. Aber die schöpferische Entwicklung wurde dadurch viel schwieriger, der Tatendrang wurde durch kleinliche Streitereien gebremst, der Elan für dringend benötigte neue Ideen verpuffte im fruchtlosen Disput.
    Daria kannte die einschlägigen Katastrophenszenarien aus ihrer Pr ojektarbeit. Sie erinnerte sich, dass eine anfängliche Überlebenseuphorie die normale menschliche Reaktion auf ein einschneidendes Unglück war. Sie dachte erneut an das Höhlenbad und das damit verbundene kribbelnde Wohlgefühl. Doch sehr schnell folgte dem Höhenflug der Absturz, die Lähmung, die Niedergeschlagenheit. Unentschlossene, fügsame, gefühlsarme, mechanisch handelnde, psychisch gestörte Opfer allenthalben. Instabile Gruppen werden gebildet, kindische Verhaltensweisen an den Tag gelegt – die Aureolen waren da keine Ausnahme. Bevor jedoch aufkeimende Aggression und Hyperaktivität einsetzen konnte, bevor die Suche nach Schuldigen und Sündenböcken begann, hatte Daria Delfonte entschieden, die Energie der Aureolen zielgerichtet einzusetzen.
    Trümmer mussten beseitigt, Hütten errichtet, Nahrung gesammelt und zubereitet werden. Es galt, Streitereien und Eifersüchteleien zu schlic hten. Für ganz banale Alltagsprobleme mussten Lösungen her: Was macht ein Brillenträger, wenn die Brille verloren geht, wer behandelt Zahnschmerzen, wie verhält sich die hygienebewusste Frau bei einsetzender Monatsblutung oder die verwöhnte, westliche Kehrseite ohne Toilettenpapier, ohne Bandscheibenmatratze, ohne Konsumgüter jeglicher Art? Nur, wenn Daria und ihre Helfer diese Fragen zur Zufriedenheit der Aureolen beantworten könnten, würde aus der überregionalen keine lokale Katastrophe werden. Dessen war die erfahrene Forscherin sich gewiss. Doch diese Einsicht hatte Folgen. Der Wille zu Führung war gefragt.
    Carlos Caldera war eine solche Führungspersönlichkeit. Doch es ma ngelte ihm an Akzeptanz. Sein Egoismus war so deutlich sichtbar wie die Glut seiner schwarzen Augen. Willenskraft alleine genügte also nicht. Daria wollte die Überlebenden überzeugen. Am besten mit einem Plan. Der Dauerzwist mit Guillaume Raboux war einseitig beendet; Daria ignorierte den Franzosen fortan. Er hatte alle Hände voll zu tun, die Cuttlefish zu bergen. Ohne das verschwundene Meerwasser würde ihm das Boot allerdings kaum nützen. Dafür hatte sich Carlos Caldera vom Saulus zum Paulus gewandelt. Beinahe schien es, als suche er Darias Gesellschaft oder zumindest das Gespräch mit ihr. Die Bücher der Sechsten Sonne interessierten ihn besonders; er bombardierte sie geradezu mit hintergründigen Fragen. Daria begann sich mit seiner Neugier unwohl zu fühlen, ohne dieses Missbehagen in Worte fassen zu können. Nur Virginias fröhlicher Zuwendung hatte Caldera ihre noch nicht eingeschränkte Offenheit zu verdanken. Es brachen so verschiedenartige Eindrücke über sie herein, dass sie Mühe hatte, allen und jedem gerecht zu werden.
    Daria scheute sich nicht zu führen. Sie fühlte Verantwortung für die Aureolen und war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass dieses G efühl aus einer gewissen Haltung der Überlegenheit heraus resultierte. Sie war nicht überlegen in ihren Talenten und Fähigkeiten, sie war kein besserer Mensch, sie erhob keinen moralischen Zeigefinger und war ganz sicher kein geborener Leithammel. Doch sie verfügte über den unschätzbaren Vorteil der Erfahrung. Sie hatte während mehrerer Expeditionen und Feldversuche erlebt, wie Menschen in Krisensituationen reagieren. Sie hatte gelernt, mit gruppendynamischen Prozessen umzugehen. Sie hatte den Soziologen unter ihren Kollegen oft genug auf die Finger geschaut. Sie wusste, wie sich furchtlose Steppenkrieger, tollkühne Könige aber auch einfache Hirten, Handwerker und Bauern als gewiefte Überlebenskünstler

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