Die Maya-Midgard-Mission
romantische Option und setzte ihr Fingerspiel fort.
Ihre Hand ertastete einen mächtigen Bizeps, der eher von körperlicher als von geistiger Arbeit zeugte und drückte sanft zu. Ein männlicher Duft nach Salz, nach Seeluft und nach Sandelholz stieg Daria in die Nase.
»Gut gewürzt« , meinte Stimmchen trocken. »Wie ein saftiges Filetsteak sein sollte.«
" Blödsinn!", entfuhr es Daria laut. "Wie ein geheimnisvolles Gedicht auf altem Pergament."
" Wie bitte?"
" Oh, ich... ich finde, ich kann dich gut riechen. Ich meine, ich... du duftest... so lecker", stammelte Daria und fühlte sich ertappt.
" Wie altes Pergament", wiederholte Domnall, "du würdest also gerne in mir blättern, wie in einem Buch?" Aber es war offensichtlich, dass ihm keine passende Antwort einfiel.
Daria nickte und dachte an altes Pergament. Sie hatte das Manuskript des Eitel Melchior Federmann vollständig übersetzt und witterte zw ischen jeder Zeile einen neuen Hinweis auf das Versteck der Bücher der Sechsten Sonne. Mit jedem Wort kam sie näher. Sie war sicher, auf der richtigen Spur zu sein. Der Text aus dem 17. Jahrhundert schien der Altertumsforscherin inhaltlich zunächst eindeutig: eine kurze Nachricht, die den Suchenden Mut machte, sie in ihrem Glauben bestätigte. Doch beim näheren Hinsehen erwies sich diese Einfachheit als listige Vielschichtigkeit. Daria war keine Linguistin, aber sie hatte ihr Quellenstudium schon immer am liebsten zwischen Syntax und Semantik betrieben. Inhalt und Bedeutung waren auch in diesem Manuskript nur zwei Teile des größeren Ganzen. Eine dritte Dimension öffnete sich durch das Prophetische des Briefes. Federmanns seherische Fähigkeiten wurden durch die Anrede des Finders und die Vorhersage des Fundes doppelt bestätigt und eindrucksvoll bewiesen. Doch da war noch mehr. Der Brief war multidimensional. Darias geschulter Instinkt witterte eine verborgene Spur. Es gab Indizien, dass die Sprache von Federmann codiert war. Die manchmal eigenwillige Stellung einzelner Worte im Satz deutete darauf genauso hin, wie die untereinanderstehenden und hervorgehobenen Buchstaben I und V, die zusammengesetzt das römische Äquivalent für die Ziffer 4 ergaben. In ihrer Studienzeit hatte Daria sich intensiv mit den Prophetien des Michel de Notredame befasst. Seine in sogenannten Centurien verschlüsselten Weissagungen hatten Generationen von Interpreten und Übersetzern ernährt, weil sie ihre Geheimnisse in vielen verschiedenen, eng miteinander verzahnten Ebenen verbargen. Nur, wer in den Besitz des passenden Schlüssels gelangte, würde die Wahrheit, wie Nostradamus sie sah, erfahren. Gelangweilt von der Zukunft hatte Daria sich schon bald wieder der Enträtselung vergangener Geheimnisse zugewandt, um das Hier und Jetzt besser verstehen zu können. Einige Grundlagen der Decodierung waren hängen geblieben. Und die probierte sie nun der Reihe nach an Federmanns Wortgebilden aus. Ohne die Hilfe eines Computers, unter den erschwerten Bedingungen des alltäglichen Überlebens auf Aurora und mit einem Herzen voll überschäumender Gefühle machte sie nur sehr langsame Fortschritte. Vielleicht hatte sie einen Schlüssel: 4 lautete die magische Formel. Nur das passende Schloss musste noch gefunden werden.
Sie wusste, dass die Maya in ihrer Schöpfungsmythologie, dem Popol Vuh, von vier vorangegangenen Epochen sprachen. Bekannt war auch, dass das geheimnisvolle Indianervolk die Sonne a nbetete und als Gott verehrte. Daria vermutete schon lange, dass der berühmte Langzeitkalender der Maya dazu diente, Sonnenzyklen zu berechnen. So lag es auf der Hand, dass die Bücher der Sechsten Sonne auch die Bücher einer Sechsten Sonnenphase waren. Aber warum war die Sonne so wichtig für die Maya? War es der Einfluss des zentralen Gestirns auf die Erde? Und welcher Art war dieser Einfluss? War er schöpferischer oder zerstörerischer Natur? Oder beides zugleich? Das Zeitalter der fünften Sonne endete exakt am 21.12.2012, dem immer wieder vorhergesagten Stichtag für den Weltuntergang. Doch der war vorüber, und die Erde existierte weiter – wenn auch in veränderter Form. Die Bedeutung der Bücher musste also in der Phase der Sechsten Sonne zu finden sein. Daria Delfonte kannte auch die Interpretation der Esoteriker und der Spirituellen, die besagte, dass die Menschheit sich in einer gewaltigen Anstrengung und Kooperation der 'Lichtarbeiter' in ihrem Bewusstsein erhöhen würde. Auch davon war auf dem Santa Aurora nach dem
Weitere Kostenlose Bücher