Die Maya-Midgard-Mission
ihrem Glauben anhingen und die feindselige Intoleranz andersgläubi-ger Nachbarn hatten sie immer wieder vertrieben. Vor drei Ge-nerationen waren sie in Indien gestrandet: Christliche Zigeuner aus dem alten Rom. Und Sean – eigentlich Sihan – war einer von ihnen.
Sean war ein Bankert. Sein Vater, ein englischer Offizier, dem die E hre, das Ansehen des Empires und eine blasse Lady jenseits der Meere es verbaten, seine indische Geliebte zur Frau zu nehmen, sein eigener Vater also, hatte das braune Baby mit den rotblonden Haaren der Mutter zu christlicher Erziehung und treuen Händen überantwortet und war schweren Herzens dem Ruf des Mutterlandes nach Burma gefolgt, wo ihn die Kugel eines japanischen Bonsaizüchters, der ebenso eifrig in der Kunst des Scharfschießens wie im Beschneiden von Zwergbäumen war, von seinen Seelenqualen erlöste.
Die Mutter hatte ih ren Sohn abgöttisch geliebt. Umso mehr, als er ihr einziges Kind war. Sie hatte Sean beschützt und ihren Liebling vor dem Spott und Hohn der Einheimischen, die nichts Fremdartiges neben sich dulden konnten, bewahrt, solange sie lebte. Ihr Leben war schwer und kurz. Sie musste sich und ihren Sohn versorgen; und ohne Mann war eine indische Frau wertlos in den Augen ihrer Mitmenschen. Der christliche Glaube gab höchstens innere Hilfestellung, das Alltagsleben erleichterte er nicht; und dennoch hatte sie es geschafft.
Sean war zwanzig Jahre alt, hager, aber kräftig und hatte eine Frau gefunden, die ihn liebte. Andhra liebte Sean. Sie betete ihn nicht an, sie unt erwarf sich nicht seinem männlichen Willen, sie war nicht seine lebenslange Sklavin. Das verlangte er nicht. Sean war anders, nicht nur äußerlich. Und Andhra liebte ihren Mann, eben weil er so anders war. Er schaute ihr in die Augen, wich niemandes Blicken aus, ging aufrecht und gerade und ertrug die Missgunst oder gar Feindschaft seiner Umgebung mit erhobenem Haupt, falls er sie überhaupt beachtete. Er hielt sich nicht an die dörflichen Konventionen. Er war Außenseiter von Geburt an, und er nutzte sein Außenseitertum selbstbewußt und zielstrebig. Dass er Andhra geheiratet hatte und sie ihn, war der beste Beweis.
Andhra war Hindi, dazu aus einem Nac hbardorf, und sie hätte Sean niemals heiraten dürfen. Das erlaubte schon die Zugehörigkeit zu ihrer Kaste nicht. Aber Sean hatte sich über alle Vorurteile und Schranken hinweggesetzt und ihrem Vater soviele westliche Konsumgüter angeboten, bis der angesichts des zu erwartenden Status' nicht länger Nein sagen konnte, ja, wollte. Ihr Vater besaß einen Kühlschrank, ein Satellitenfernsehen, ein Radio und einen Generator. Er war der angese-henste Mann im Dorf. Aber seine Tochter hatte er verstoßen. Sie hatte den Sonderling, den Bastard geheiratet. Und damit wurde sie für die Gemeinschaft ebenfalls zum Außenseiter. Zuerst war sie empört gewesen, auch von Seans Verhalten. Später dann wich die Wut einer tiefen Trauer, die selbst die wachsende Liebe zu Sean nicht völlig hatte vertreiben können. Erst als Sean ihr sein Verhalten zu erklären vermochte, war diese Trauer verschwunden und einer Liebe gewichen, die sich nun – außer auf Zuneigung – auch auf Hochachtung stützen durfte.
Sean hätte die Riten und Gebräuch e nicht missachten können. Nicht, wenn er das Mädchen seiner Liebe zu seiner Frau nehmen wollte. Also hatte er den Brauch ausgehöhlt, ihn bis zur Parodie übertrieben und so die Mitgiftjäger der Lächerlichkeit preisgegeben. Irgendwie schienen die Alten das nicht länger zu verdrängen. Aus Spott und offener Ablehnung, die eigentlich Selbstverachtung sein sollte, war mittlerweile blanker Hass geworden. Andhra und Sean lebten völlig isoliert in-nerhalb der Dorfgemeinschaft. Zischelnde Stimmen und ein ver-giftetes Haustier waren genug Symptom für die krankhafte Atmosphäre. Genau wie Sean fürchtete Andhra, dass es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Ausbruch offener Gewalt war. Deshalb hatten sie sich entschlossen, ihre Heimat zu verlassen, um anderenorts ein friedlicheres Zuhause zu finden. Deshalb Andhras besorgter Blick auf die Landstraße in Richtung Küste. Deshalb der vom Dauerregen durchnäßte Koffer neben ihr. Und abgesehen von den kümmerlichen Habseligkeiten waren da noch die schlechten Erinnerungen, die sie mit sich tragen mussten, wo immer ihre Flucht sie hinführen würde.
Zum Glück gab es auch einige wenige positive Andenken. Sean arbe itete in Badurai im Golden Sands Hotel , das dem
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