Die Maya-Midgard-Mission
aber da. Schließlich schüttelte Daria ihr schulterlanges, kupferblondes, welliges Haar, gerade so, als könne sie sich durch heftige Bewegungen von allem Übel lösen. Aber die Angst ließ sich genauso wenig abschütteln wie der wachsende Druck. Ihr Traum vom eigenen Leben im Regen von Yukatan umhüllte sie noch wie eine schwere Decke. Auch kein rechter Trost.
Die Luft im Zelt war kühl und trocken. Staubtrocken. Das armdicke Kabel lieferte die Energie für die künstliche Atmosphäre im Zelti nnern. Eine Klimaanlage entzog der Luft Wärme, aber vor allem die Feuchtigkeit. Neben der sorgfältig mit Goretex-Planen verhangenen hydraulischen Eingangstür stand Darias PC und ein Gerät, das einer Kühltruhe nicht unähnlich war. Beide Maschinen sirrten kaum hörbar gegen den rauschenden Regen und das Brummen der Generatoren an. Eine goldene Fahne im Email-Postfach signalisierte den Eingang neuer Dateien. Die Archäologin bewegte den Cursor.
Auf dem Bildschirm erschienen ein Dutzend Symbole, die an altägy ptische Hieroglyphen erinnerten: Maya-Glyphen – Geistes Futter für das 'Maya-Midgard-Projekt'.
Daria warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zehn Minuten Reche rche. Dann musste sie zurück an die Arbeit. Der Grund für ihre Albträume starrte ihr aus der Grube im Zentrum des Zelts entgegen.
***
4 DIE REISENDEN
DEUTSCHLAND
Wolf Martens stellte den GPS-Empfänger auf Pause, die Klimaanlage auf AUS, wischte sich den Schweiß von der Stirn und öffnete das Ausstellfenster des schweren Mercedes-Traktors bis zum Anschlag. Nach drei Stunden eintöniger satellitengesteuerter Langsamfahrt auf immer denselben Spuren, um den Boden dazwischen nicht unnötig zu verdichten, hatte er eine Portion frischer Luft nötig.
Das Wetter schlug Ka priolen wie schon lange nicht mehr. Gestern noch Hagelstürme, die ihn um die Wintersaat fürchten ließen, und heute ein wolkenloser Himmel, wie ihn kein Aquarellist blauer hätte färben können. Naja, wenn man einmal von den Kondensstreifen absah, die manchmal im Zickzack den Himmel durchkreuzten. Wolf Martens hätte schwören können, dass diese Abgaswolken sich früher binnen weniger Minuten verflüchtigt hatten. Seit Jahren beobachtete er, wie sie stattdessen manchmal schon am Mittag das gesamte Himmelsblau in schillernde Chemie- oder fahle Leichentücher hüllten. 'Poetisch ausgedrückt', sagte Martens zu sich selbst. Aber irgendwie beschlich ihn im stummen Zwiegespräch wie stets eine Ahnung, dass dieser Himmelsbleiche nichts Poetisches anhaftete.
" Das willst du gar nicht wissen", brummte der Bauer und trank einen Schluck Wasser aus seiner Feldflasche. Das mit der Chemie in den Wolken hatte er von seiner Frau. Kati mischte seit Jahren in allen sozialen Netzwerken mit, die sie finden konnte. Die Seiten mit dem 'Neuen Bewusstsein' hatten es ihr besonders angetan. Kornkreise, sauberer Himmel und giftfreie Naturprodukte, Lichtarbeiter, Unterwasserpyramiden, ASW, – in Katis Hobbywelten wimmelte es nur so von Alternativen zur herkömmlichen Lebensweise. Dabei lebten sie selbst ein eher durchschnittliches Leben als konventionelle Landwirte in Norddeutschland.
" Träumen muss ja wohl erlaubt sein!" Katis Devise für alle Lebenslagen barg für Wolf Martens Widersprüche. Aber mit Widersprüchen kannte er sich beinahe so gut aus wie mit Bodenfruchtbarkeit oder Extensivierung. Seit er denken konnte, war der studierte Agrarökologe den schönen Künsten zugeneigt. Mehr, als seiner harten, bisweilen auch monotonen Arbeit als Landwirt. Martens hasste das frühe Aufstehen; er hasste die Abhängigkeit von Umwelteinflüssen; und er hasste die Reaktion eines Großteils seiner Kollegen, die solche Unwägbar-keiten einfach mit einer geballten Ladung Chemie bekämpften, in der trügerischen Hoffnung, sich so den Kräften einer bedrängten aber immer noch ungezähmten Natur entgegenstellen zu können. Die Natur antwortete auf ihre Weise. Doch wer hörte schon hin?
Wolf Martens überlegte seit Mon aten wie er seinen ungeliebten Beruf an den Nagel hängen könnte, ohne sich den Zorn seines Vaters und das Unverständnis seiner Schwiegermutter zuzuziehen. Bisher war ihm keine Lösung des Problems eingefallen, obwohl es da einen Hoffnungsschimmer gab. Natürlich hatte der Beruf auch seine guten Seiten. Aber im Moment fielen ihm keine ein. Ein Grund, weshalb er die Arbeit seines Vaters übernommen hatte, war, dass er seine Scholle liebte. Er kannte keinen schöneren Geruch als den
Weitere Kostenlose Bücher