Die Maya-Midgard-Mission
außerirdischen Heilungskräften weiterverhökerten. Die Klientel musste beachtlich sein. Denn mittlerweile hatte Kati schon sechs Bioläden an der Angel und kam kaum noch mit Brotbacken nach. Wolf Martens schätzte, dass mehr Menschen Brot von Feldern wie seinem aßen, als wundergläubige Trinker die Wasser von Lourdes schlürften.
In der Senke neben dem Knic k am Ostrand der vor ihm liegenden Wintergerste entdeckte er einen neuen Kreis. Er stellte den Trecker ab und kletterte auf sein Dach. Von hier oben hatte er einen viel besseren Überblick. In dieser Jahreszeit hatte er noch nie einen Kreis gesichtet. Irgendwie hatten diese Dinger eine Saison – und zwar den Sommer. Genau betrachtet war der Kreis diesmal auch kein Kreis, sondern ein kompliziertes Muster ineinander verwobener Linien. Die Kreise, Dreiecke und anderen geometrischen Figuren sahen in ihrer Summe einer Ameise nicht unähnlich. Eine solch filigrane Feldarbeit hatte Wolf noch nie gesehen. Zum ersten Mal beschlichen ihn Zweifel an seiner bisher stets vehement geäußerten Überzeugung, dass ein paar besonders rüstige Rentner des nahegelegenen Altersheimes eine originelle Methode zum nächtlichen Ausleben ihrer galamagestärkten, doppelbeherzten Greisenschrulligkeit gefunden hatten. Für diese Vermutung sprach, dass die Erdzeichen immer nur um die Zeit der Sonnenwende herum auftauchten. In feuchten Herbst- oder gar kalten Winternächten schienen sich die alten Herren lieber anderweitig zu vergnügen. Jedenfalls hatten sie das bisher so gehalten. Angesichts der merkwürdigen "Ameise" inmitten seiner hauchzarten Wintergerste wurde dem Landwirt aber auf einmal bewußt, dass die Sommermonate das deutlichste Erscheinungsbild für solcherlei Schnörkeleien erlaubten, weil das Korn am höchsten stand. Diese Novemberameise war kaum zu erkennen, weil die Pflänzchen, in denen sie krabbelte, kaum drei Zentimeter groß waren. Und das auch nur, weil der ganze Herbst ungewöhnlich mild gewesen war. Wie auch immer: Wolf war sicher, dass er das Rätsel bestimmt nicht lösen würde. Künftig würde er sich einfach an der Kunstfertigkeit der Kornkreise erfreuen, sie als gelungene Werke einer Landart betrachten, und sich keine Gedanken mehr über ihre Urheber oder die Gründe für ihr Entstehen machen.
Die Schweinerippen-Zeppeline waren bedrohlich nahe gekommen und hatten das Aquarellblau des Tages gänzlich verschluckt. Die Vorhut der Tropfen fiel also nicht mehr aus heiterem Himmel und Wolf Martens war bereits ein letztes Mal in seinen Fahrerkäfig geklettert, als das Trommelfeuer losging. Drei Wochen Karibik – was will der Mensch mehr? Dort müßte jetzt eigentlich Trockenzeit sein. Der Bauer streifte sich die Kopfhörer seines Bordradios über, startete den Motor und beeilte sich von dem Feld herunter zu kommen, weil er befürchtete mit den schweren Reifen seines Traktors im Schlamm zu versinken.
Mit der Wucht eines Wasserfalls stürzte der Regen zu Boden. Wolf sah, wie ein Maulwurf in Panik seine Höhlengänge und H ügel im Stich ließ, weil er nicht in den Fluten ertrinken wollte. "Wahrscheinlich macht Petrus auch gerade Urlaub in der Karibik", dachte Wolf schmunzelnd und fand einen Sender, der Supertramp spielte.
INDIEN
Unter einem Feigenbaum neben der einzigen Bushaltestelle des Dorfes suchte Andhra Gandi Schutz vor dem Dauerregen und wartete voller Unruhe auf den Bus mit ihrem Mann. Der Bus, der sie beide in eine bessere Zukunft fahren sollte, hatte nun schon eine Stunde Verspätung. Im Hotel würde Sean nichts zugestoßen sein, beruhigte sie sich selber. Wenn etwas passierte, dann hier im Dorf. Trotz des Regens wimmelte es wie immer vor Menschen. Sie schwirrten um sie herum und – so schien es ihr jedenfalls – musterten sie alle bösen Blickes. Andhra nahm ihr Kopftuch ab, um das Wasser auszuwringen, zog es sich wieder eng über den Kopf und starrte zu Boden. Blicken konnte man ausweichen. Dem Haß der Menschen nicht.
Sean und Andhra Gandi ware n Christen. Vor zwei Jahrtausenden waren Seans Ahnen vor den Römern geflohen und so dem Flammentod im Circus Maximus entgangen. Sean und Andhra flohen vor der subtileren, aber nicht minder lebensbedrohenden Gewalt ihrer hinduistischen Nachbarn, die es auf ihre Felder abgesehen hatten oder einfach nur neidisch waren. Wie so viele andere schon zuvor. Im Laufe der Jahrhunderte hatten die Überlebenden des Exodus unzählige Versuche unternommen, sesshaft zu werden. Aber die Hartnäckigkeit mit der sie
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