Die Maya-Midgard-Mission
Stunden geglückt.
" Sie sind also Sean Gandi?", sagte Daria nachdenklich.
Der Angesprochene hob fragend die buschigen, dunklen Augenbra uen und wischte mit einem Hemdsärmel den Schweiß von seiner Stirn. Seine Haut glänzte wie poliertes Teakholz und sein volles Haar glitzerte blauschwarz in der fahlen Sonne. "Wieso, kennen wir uns?"
" Ehm, nein, nein, mir war nur einen Augenblick, als... Ach, es ist heiß. Guten Morgen, Sean", sagte Daria Delfonte und tupfte sich mit einem umfunktionierten Kissenbezug aus Baumwolle ebenfalls den Schweiß von der Stirn, "und meine allerherzlichsten Glückwünsche zum strammen Stammhalter. Wie haben Sie die heiße Nacht überstanden?"
Obwohl die Sonne über das Stadium des blassen Spiegeleis nicht h inauskam, war die Luft stickig und schwül. Es roch nach Schwefel und verbrannter Erde. Mitten im ehemaligen Paradies hatte die Hölle eine Filiale gegründet. Ein flüchtiges Lächeln erhellte die hageren Züge des Hotelmanagers.
" Vielen Dank, uns geht es gut. Ms. M. ist noch ein wenig widerspenstig. Aber vielleicht kann Ihr weiblicher Einfluss sie überzeugen... Meiner Familie geht es wirklich gut?"
" Andhra und Ihrem Sohn geht es prächtig. Sie sind glücklich miteinander und haben alle Hände voll zu tun, sich kennen zu lernen, und können es kaum erwarten, Papa endlich in die Arme zu schließen. Keine Sorge, alles bestens, auch wenn auf Aurora nicht gerade Partystimmung herrscht", sagte Daria. "Aber bitte, Sean, lassen Sie uns einander beim Vornamen nennen. Mütterchen Natur kümmert sich schließlich auch nicht um akademische Grade oder Höflichkeitsregeln."
Ein besorgter Blick nach Nordosten in Richtung Devils Darling lenkte ihre Aufmerksa mkeit auf das drängendste Problem ihrer Gegenwart. Der Vulkan hatte offenbar irgendwann im Laufe der Nacht aufgehört, flüssiges Gestein zu spucken. Eine dünne Rauchfahne mahnte die Aureolen, dass er es sich jeden Moment wieder anders überlegen konnte. Der Lavastrom war jedoch nicht um Ornuga oder Fanigua herum gekommen. Er musste irgendwo an den Nordflanken der beiden Nachbarinseln versiegt sein.
" Fürs erste scheint sich die Erde zu beruhigen", meinte Sean Gandi und breitete eine letzte Bastmatte auf dem provisorischen Steg aus. "Wir sollten auf Auroras Festland, schnell, ehe wir hier im Schlamm oder gar in der Lava versinken. Nur Ms. M. ..."
" Ist Ms. M. in allen Belangen so dickköpfig?”, fragte Daria interessiert.
" Sie ist die Königin der Auroren."
" Eine echte Inseldespotin, also, verstehe", meinte Daria. "Aber vielleicht ist sie gar nicht so dumm. Wie sieht es auf Cinnamon mit der Trinkwasserversorgung aus? Auf Aurora haben wir noch Wasser. Aber durch den gesunkenen Meeresspiegel und das geänderte Klima ist das gesamte Ökosystem gestört. Unser Wasser beginnt auch schon zu versiegen, fürchte ich."
" Aber der Mount Cornuc ist fast 2000 Meter hoch", sagte Sean Gandi erstaunt. "Dort oben liegt ewiger Schnee. Wie kann da das Wasser versiegen?"
" Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass der Bach, der den Mono-See speist, zu einem Rinnsal verkommen ist."
" Hmm", machte Sean Gandi und blickte besorgt zur Spitze Auroras, die wie immer unter einer tiefhängenden Wolke verborgen war, "einen Vorteil hat Aurora auf jeden Fall: Das ist ihre Höhe über dem Meeresspiegel. Manchmal, wenn Oststurm die Wassermassen aus dem inneren Archipel hinausgedrängt hatte, kamen sie bald darauf mit mächtiger Wut wieder."
" Leider haben wir keinen Klimaforscher oder Geographen in unserer Gruppe", sagte Daria und betrat mit einem großen Schritt trockenen Inselboden. "So müssen wir uns eben mit Spekulation behelfen. Die Mehrheitsmeinung lautet, dass wir uns sowohl vor dem Vulkan als auch vor dem eventuell zurückkehrenden Wasser in Auroras Höhen retten sollten. Vorläufig jedenfalls."
" Bei Ms. M. werden sie damit nicht weit kommen", bemerkte Sean Gandi gleichmütig. "Die Lady ist aus dem gleichen Granit wie ihr Haus. Na, Sie werden schon sehen..."
Daria ignorierte Sean Gandis Einwand und wandte ihre Aufmerksa mkeit dem rosa Granithaus zu, das dem Großen Sturm als einziges Bauwerk auf Cinnamon getrotzt hatte und dessen Bewohnerin nicht minder unbeugsam zu sein schien. Das Haus hatte kein einziges heiles Fenster mehr und das Dach war bis auf das Holzgerippe abgetragen. Aber die Grundmauern und die massiven Zimmerdecken hielten das Gebäude zusammen. Sie betraten einen getäfelten Flur. Die schweren Mahagoni-Paneele an den Wänden und der
Weitere Kostenlose Bücher