Die Maya-Midgard-Mission
hörte wie hier und dort deren fröhliches Geplapper verstummte und fühlte sich stark genug, Abdul zu widerstehen. Sie mußte ihm widerstehen. Widersprechen. Gegen seine erneute und kurz bevorstehende Machtübernahme angehen. Aufbegehren, um sich nicht aufzugeben. Sie wusste, der richtige Zeitpunkt und Ort dafür – die Nacht im Eleuthera – waren eigentlich längst verpasst. Dort hatten ihre Nachgiebigkeit und der Wunsch nach standesgemäßer Begleitung sie geschwächt. Aber eine weitere Chance würde sich ihr so bald nicht wieder bieten. Sie mußte hier und jetzt von Abdul loskommen. "Ich bleibe hier!" rief sie und riß sich dramatischer los, als es hätte sein müssen.
Flavia di Fu lminosa sah wie der Dunkle vermeintlich kapitulierte. Aber in seinen Augen erkannte sie, dass er nicht gewillt war, eine dauerhafte Niederlage einzustecken. Das konnte ja noch recht interessant werden.
Palika hatte eine geschickte Hand in der Aus wahl seiner Meereskinder bewiesen. Nicht zum ersten Mal fragte Flavia sich, ob es mehr als Zufall sein konnte, sein mußte, dass der Häuptling jedes Mal zur Stelle war, wenn es galt, einen Gekenterten aus den Fluten zu ziehen. Anfangs hatte sie geglaubt, es sei ein Traum während ihres Erschöpfungsschlafes gewesen, aber nun war ihr klar, dass sie wirklich gehört hatte, wie Bekka mitten im schlimmsten Sturm beruhigend auf eine Schwangere eingesprochen hatte. Da war die Rede von einer Weissagung, von einer Sintflut, von Weltuntergang, Neuankömmlingen und einer Sechsten Sonne. Flavia hatte nicht alles begriffen, aber sie würde bei Gelegenheit danach fragen. Ganz sicher sogar. Die Auroren mit dem schneebedeckten Gipfel des Heiligen Berges – warum eigentlich nannten die Kamkin ihn heilig? – war die Räuberhöhle voller Schätze und Flavia fühlte sich wie Ali Baba. Mit Palikas Hilfe würde sie Sesam öffnen.
Im Augenblick war der hinreißende Häuptling allerdings zu sehr d amit beschäftigt, den Kontakt zur Außenwelt wieder herzustellen. Wie es schien waren sämtliche Funkverbindungen zusammengebrochen. Aber Palika hatte ihr versichert, dass das öfters vorkam und kein Grund zur tiefen Besorgnis sei. Auch die anderen Kamkins schienen ihrer zeitweisen Isolierung keine Beachtung zu schenken. Alle gingen ihrer täglichen Beschäftigung nach. Auch die Kinder. Die Aufräumarbeiten nach dem Sturm waren in vollem Gange. Es wurde gescherzt und gelacht und überall sah man nur anpackende Hände, nirgends niedergeschlagene Gesichter. Auf Grand Karaiba wurde offensichtlich nicht unter dem Diktat des größtmöglichen Gewinns gearbeitet, sondern einzig unter Gesichtspunkten wie Sinnerfüllung, Erfordernis, Nutzen und einer Prise Selbstverwirklichung. Doch niemand, den Flavia bisher befragt hatte, gab sich der Illusion hin, Teil einer wunderbar autarken und vorbildlich harmonischen Gesellschaft zu sein. Alle wussten und akzeptierten, dass eine gewisse Norma Jean Mortenson diese Inseln und ihre Bewohner finanziell am Leben erhielt. Diese Miss Mortenson schien Grand Karaiba als eine Art Experimentierfeld zu betrachten, als ihr persönliches Spiel. Miss Mortenson spielte Gott. Ein komischer Kauz. Davon war Flavia di Fulminosa von Minute zu Minute mehr überzeugt. Aber sie wusste nicht, ob sie darüber zornig oder erfreut sein sollte. Die Kamkin schienen widerspruchslos zu akzeptieren, eine Gemeinde von Mortensons Gnaden zu sein und sich keine Gedanken über eine Manipulation ihres Lebens zu machen. Flavia beschloß, sich um Neutralität zu bemühen. Abwarten, was die Zukunft bringen würde. Wie es aussah, würden sie noch eine ganze Weile auf Grand Karaiba verbringen.
Gerade trat Palika aus seinem Haus, einer mit Muschelkalk verput zten Hütte, die von einem richtigen Schindeldach bedeckt wurde. Muschelkalk schien auf Grand Karaiba der wichtigste Werkstoff zu sein. Und Holz natürlich. Flavia bemerkte, dass der Große Sturm das hölzerne Gerippe des Dachstuhls von Palikas Behausung entblößt hatte. Hinter dem Haus begann gleich der Regenwald, der sich wie eine schützende Wand um die Siedlung legte. Auch ohne Dach wirkte Palikas Haus behütet.
Flavias Blick streift e die graziöse Gestalt des Häuptlings und fiel auf eine moderne Satellitenantennenanlage an der Stirnwand seiner Hütte. Die Schüssel war arg verbeult und zerschrammt. Herabstürzende Schindeln hatten sie erwischt und wie der Gesichtsausdruck Palikas verhieß, wohl auch außer Funktion gesetzt. Das ganze Dorf machte einen etwas
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