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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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dem Sermon der Alten aus und übe rlegte angestrengt. Die wenig damenhafte Dame erwies sich als zäher Brocken. So schmal und zerbrechlich ihr ausgemergelter Körper auch wirkte, so durchsichtig ihre verwelkte Haut schimmerte, so unbeugsam präsentierte sich ihr Wille, so widerspenstig ihr Geist, so mysteriös ihre gesamte Erscheinung. Falls sie nicht wusste, wo die Bücher verborgen waren, so hatte sie doch das Geheimnis des Perpetuum mobile gelüftet – ihr Mundwerk stand nie still. Aber hinter dem Mundwerk steckte mehr. Irgendein Bewusstsein, eine verschleierte Geisteshaltung, lauerte hinter dem Offenbaren. Die obersten Schichten ihrer Persönlichkeit waren Fassade. Das spürte Daria deutlich, und das verunsicherte sie. Wie sollte sie vorgehen? Diplomatisch, mit sanftem Überzeugungsdruck, mit forscherem Drängen? Konnte sie sich nicht genauso gut über den Wunsch der Alten hinwegsetzen und die Bücher einfach suchen? Schließlich würde sie auch ohne Erlaubnis der ungekrönten Inselkönigin fündig werden – lediglich eine Frage der Zeit. Wie wollte die gebrechliche Domänin sie hindern?
    »Totsabbeln!« , sagte Stimmchen.
    Daria nahm die Einrichtung der guten Stube in Augenschein. Überall waren noch die Spuren des Sturms zu sehen. Doch die Bücher standen wieder in den Regalen, die Bilder hi ngen an der Wand. Einige waren zerborsten, andere arg zerfleddert und ohne Rahmen. Das zerschrammte Piano im Zentrum des Zimmers diente als Tabernakel für ein Sammelsurium persönlicher Andenken. Daria schaute genauer hin. Sie erkannte ein paar Hollywood-Heroen vergangener Zeiten: Jane Russell, Clark Gable, Jack Lemmon.
    " Wie lange leben Sie eigentlich schon auf Cinnamon?", fragte sie.
    " Ungefähr 50 Jahre", kam die Antwort, "und du kannst mich Norma nennen, Kindchen."
    " Norma Jean?", murmelte Daria und vertiefte sich in die Buchtitel auf dem Regal neben dem Kanapee. Sie entdeckte eine Ausgabe von Arthur Millers "The Crucible – Hexenjagd", nahm sie und blätterte nachdenklich darin. Das Buch enthielt die handschriftliche Widmung: "Für meinen Augenstern – A.M., N.Y., Nov.,3rd,1957."
    Darias Augen weiteten sich und sie sah gerade noch, wie die alte D ame schnell wegschaute und an ihrer schwarzen Baskenmütze, von der sie sich niemals zu trennen schien, herumnestelte. 
    " Seit 40 Jahren sind Sie also Insulanerin, Ms. ehm Norma. Sie müssen eine Menge Erfahrung haben. Und eine Menge wissen."
    " Nicht zu viel und nie genug. Bei weitem nicht genug", antwortete die Amerikanerin.
    " Darf ich fragen, wie Sie in den Besitz dieses Archipels gelangten?"
    Ein entrücktes Lächeln umspielte die gestrengen Züge der alten Frau. "Oh, ein Dichterfreund hat mich an diese freundlichen Gestade geführt."
    " Arthur Miller?"
    " Nein, Kindchen, es war Aldous Huxley, wenn du es genau wissen willst."
    Im Türrahmen erschien Sean Gandi und räusperte sich. "Entschuldigung, die Damen, aber wir brechen jetzt auf. Wollen Sie sich uns anschließen?"
    " Wir schwelgen gerade in alten Zeiten, Sean", sagte Ms. Mortenson gebieterisch, "keine Störungen jetzt."
    " Geht ruhig voraus, Sean. Pater O'Domhnaill, Yaphet und die anderen werden euch erwarten, okay. Ich komme dann später..."
    " Kann ich noch irgendwas für Sie tun, Ms. M.? Ich meine, wovon wollen Sie leben, die Vorräte reichen höchstens für drei Wochen..."
    " Ich habe, was ich benötige, mein Lieber. Vielen Dank und lebt wohl, du und deine Familie!"
    Sean Gandi warf Daria einen beinahe flehenden Blick zu. Sie nickte unmerklich und signalisierte ihm so, dass sie alles in ihrer Macht st ehende unternehmen würde, die störrische Alte zu einem Sinneswandel zu bewegen. In jeder Hinsicht.
    " Sie haben sich Ihren Lebensunterhalt nicht zufällig als Schauspielerin verdient? Oder hat Huxley Ihnen die Inseln geschenkt?" Daria gönnte Ms. M. jetzt keine Atempause.
    " Du bist etwas, wie soll ich sagen? indiskret, Kindchen", erwiderte Norma Mortenson. Dann klappte sie das Piano auf und holte eine alte, abgegriffene Hutschachtel aus den Tiefen des Instruments. "Eigentlich sind ja Diamanten die besten Freunde eines Mädchens. Und ein Mädchen im Geiste – zumindest im Geiste –, das war ich, als ich vor 50 Jahren hierher kam. Doch anstelle von Diamanten bekam ich das." Sie schüttete die Schachtel auf dem Parkettboden aus. Dutzende kleiner und großer Bernsteine, geschliffen und in Gelb- und Rotgold gefasst, kullerten über das Kastanienholz. "Das ist das Erbe eines großen Mannes. Eines Weisen,

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