Die Maya-Midgard-Mission
sintflutartigen Schüben nun schon seit seiner Ankunft vor zwei Tagen durch London tobte. Als die ersten erbsengroßen Tropfen auf die Glaskuppel klatschten, hob er den Kopf und betrachtete seine Gäste.
Caldera fixierte ni emanden Bestimmten, ließ seinen Blicken freien Lauf; und dennoch ruhten seine Augen wie zwei erloschene Kohlen in ihren Höhlen: Schwarz und stumm und wie von einem Schleier grauer Asche überzogen. Nur ein schwacher Bernsteinschimmer in den winzigkleinen Pupillen verriet, dass sich tief im Inneren der Kohlen ein glühender Kern für sein erneutes Anfachen bereithielt. Calderas gestochen scharfe Gesichtszüge, die leicht geblähten Nasenflügel und der gerade Strich schmaler Lippen in einem eher europäischen denn südamerikanischen Gesicht verstärkten den Eindruck großer Anspannung. Das arrogant zur Schau gestellte Antlitz eines Asketen, gerahmt von schulterlangem, gepflegtem Haar, schwarz wie Ebenholz, machten Calderas Selbstinszenierung zu einem eindringlichen Schauspiel, dem sich der ehrliche Betrachter ohne Gemütsregung kaum hätte entziehen können. Die anwesenden Damen konnten es offenkundig nicht.
Caldera erhob sein Glas und drehte den Stiel des Kristalls spiel erisch zwischen Daumen und Zeigefinger.
Das Geraune der Gäste ebbte ab.
Caldera kannte seine Wirkung und sein Image. Das düstere Aussehen war gewollt, sorgfältig geplant und wurde durch seine Kleidung unterstrichen: ein schwarzes Hemd aus Bourette-Seide mit eingesticktem Monogramm, eine schwarze Kaschmirhose, völlig flusenfrei, maßgeschusterte italienische Schuhe und ein locker über den Schultern hängendes tailliertes Melangesakko aus schwarzer und apatitgrüner Viskose. Die goldene Krawattennadel stellte einen stilisierten Teufel mit Pferdeschweif, -phallus und Rubinaugen dar. Caldera liebte es, sich mit einer Aura des Satanischen zu umgeben. Er war nicht Beelzebub, aber er konnte ihn teuflisch gut imitieren. Besonders zu einem Anlass wie diesem hier.
Das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, war schon immer sein heftigstes Verlangen gewesen. Und so hatte er es zu diabolischer Präzision geformt. Die Vernissage und der verblichene James End icott, sein Londoner Arm, gaben Zeugnis ab von dieser zweckmäßigen Denkweise. James Endicott Tiburon Brown, JET, wie seine Freunde und Feinde ihn in einer Mischung aus Neid und Bewunderung genannt hatten, war ein strenger, ein starker Arm gewesen. Carlos Caldera hatte ihn amputieren müssen. JET hatte eine steilen Aufstieg, einen langen Höhenflug und einen jähen Absturz hinter sich. Die dünne Höhenluft musste ihm zu Kopf gestiegen sein. JET hatte seine Herkunft vergessen; er hatte seine Familie verleugnet als diese ihn am dringendsten brauchte; er hatte sie schnöde im Stich gelassen; es war ihm entfallen, wer seine Freunde und wo seine Feinde waren. Er hatte sein Gedächtnis verloren. Und nun auch sein Leben. Carlos Caldera hatte JET lange protegiert. Bei kleinen finanziellen Unstimmigkeiten hatte er beide Augen zugedrückt. JET war noch jung und ungestüm. Er musste sich zuerst noch die Hörner abstoßen. Und dazu gehörte auch eine Rebellion gegen El Padre , gegen Caldera. Eine Rebellion, die sich im Rahmen hielt – natürlich. Für das Geschäftsleben galt das gleiche Gesetz wie für das Familienleben: Die Kinder müssen lernen, auf eigenen Füßen zu stehen; sie müssen ihre eigenen Fehler machen dürfen; und sie müssen auch schon einmal ordentlich auf den Putz hauen. Zum Teufel, ja, das hatte er als junger Bursche auch nicht anders gehalten!
Eine verdammte Schande, wie oft sein Vater, der Richter, ihn am Montagmo rgen auslösen musste. Er war so jung und dumm damals, dass er das Wochenende öfter auf der Pritsche in der Ausnüchterungszelle von San Jaime verbracht hatte, als auf Dolores oder Conchita oder der feurigen Mercedes. Sein Vater hatte die Sauftouren genauso stillschweigend hingenommen wie alles andere. Denn er wusste, wenn es wirklich hart auf hart käme, wenn der Himmel Blut regnen und morgens die gehäuteten Katzen zur Warnung an den Fensterläden hängen würden, dann hätte sein Sohn ihm zur Seite gestanden. Und genau das hatte der junge Carlos getan, als der Tag gekommen war. Und mehr noch: Er hatte sich schützend wie ein Kugelfang vor den alten Herrn gestellt und selbst begonnen, auszuteilen. Wie das anzufangen ist, hatte er in seiner wilden Zeit zur Genüge gelernt. Wenn Geist und Körper koordinierte, zielgerichtete und erfolgsversprechende
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