Die Maya-Midgard-Mission
Oft genug hatte Cristina erlebt, dass wochenlange penible Vorarbeit in einem einzigen Augenblick der Unbesonnenheit zunichte gemacht wurde. Peng! Aus und vorbei. Kein Süßholz: kein Vertrauen: keine Knete. Nur steter Tropfen höhlte den Stein: Diese Binsenweisheit musste die falsche Gräfin stärker noch als bisher verinnerlichen. Es war die im elsaß-lothringischen Dabo geborene Christine Graf, die deutsche Herkunft in ihr, die gutbürgerliche Verhaltensweisen nur langsam abstreifen konnte. Die Abstammung war wie eine Haut und hatte viele Schichten. Trotzdem war aus Christine Graf die Gräfin von Dabeau geworden, und die hatte sich im Laufe ihrer Lehrzeit zur Spezialistin für das berüchtigte Kind im Manne entwickelt. Dass sie es erkannte, mit ihm umzugehen, ja, es sogar hervorzulocken verstand, hatte ihr in wenigen Jahren mehrere Hunderttausend Dollar an Nachlässen, Abfindungen und Pretiosen eingebracht. Die Sensibilität der Gräfin für das Kind in ihren Finançiers war so geschärft, dass sie schon an der Körpersprache ihrer Opfer ablesen konnte, ob ihr die kindische oder die kindliche Version begegnete. Gefunden hatte sie es immer: selbst im abgefeimtesten Schurken. Aber am einfachsten war es bei reichen, sehr reichen Männern zu entdecken. Und fast immer war es ein Hätschelkind. Dieses Kind konnte eher Schmerzen ertragen als Liebesentzug und eher Bosheit als Spott. Aber glücklich war es nur, wenn man es lobte. Es trennte sich ungern von seinem Auto und anderem Spielzeug, ja, frönte hemmungslos der ältesten Kulturform des Menschen: jeder Art von Spiel. Und Cristina spielte mit. Sie beherrschte ihr Métier. Fehler und Fehleinschätzungen wie bei Abdul Hamar unterliefen ihr ganz selten. Die Gräfin empfand ihre Arbeit als ein meist vergnügliches, selten beschwerliches, stets aber lukratives Spiel. Sie gab dem Kind in ihren Männern den Trost, den es brauchte, weil es in einer grausamen Erwachsenenwelt nicht länger Kind sein durfte, sondern Mann sein musste; und sie ließ sich gräflich dafür entlohnen.
Abdul Ibn Hamar Al Saud war ein schwieriger Fall. Vielleicht deshalb, weil er nicht wirklich reich war. Vielleicht auch, weil sie zu wenig Erfahrung mit arabischen Männern hatte. Abdul neigte zu weinerlichen Stimmungen. Lob konnte ihn weniger stimulieren als die meisten anderen. Auch Sex erwies sich in seinem Falle als ein weniger starkes Druckmittel denn in der Vergangenheit. Am meisten schien der impotente Ölpotentat auf Geld und damit verbundene Statussymbole anzusprechen. Diese Neigung, die oft in Besessenheit mündete, pflegten viele Männer – auch reiche. Dennoch war Abduls Vorliebe für das Thema Finanzen von anderer Qualität; hatte ihn schließlich verdächtig gemacht. Cristina war zu dem Schluß gekommen, dass das Kind in dem Araber erst dann zum Vorschein kommen würde, wenn der notwendige pekuniäre Hintergrund gesichert wäre. Solange Abdul dieser goldenen Zukunft hinterherhechelte, war er nützlich. Und sie würde die Leine lockerlassen.
" Früher oder später wird sich entscheiden, ob ich ihn mit einem Tritt zurück in seine ärmliche Vergangenheit befördere, oder mir ein Schoßhündchen zulege", dachte Cristina, ging mit provokativ wackelndem Po an Abdul vorbei zum Fenster, schloss es und sagte mit einem Blick auf die nun regenüberflutete Plaza: "Schau dir bloß diesen Wolkenbruch an, Chéri. Affreux. Absolut grässlich. Bist du sicher, dass die Kreuzfahrt eine gute Idee ist?"
Abdul betrachtete die schimmer nden, gräflichen Hinterbacken mit einem entsagungsvollen Stoßseufzer. Ob er jemals wieder ein ähnlich weiches, weißes Kopfkissen würde finden können? "Erst mal müssen wir auf die Yacht gelangen, Comtesse. Hoffentlich ist der Yankee heute Abend im Casino. Wenn der Regen aufhört, gehe ich mal runter zum Hafen. Gucken, ob der Kahn vom Cowboy noch da liegt."
" Énergique, so ist es recht, 'Amar. Ich werde mich derweil für eine amerikanische Nacht rüsten. Adieu, mon ami." Christine Graf aus Dabo alias Cristina Comtesse D'Abeau entließ ihren Komplizen mit einer wahrhaft aristokratischen Handbewegung.
Wahrer Adel braucht keine Übung.
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5 Daria Delfonte
fürchtete sich nicht. Aus der rechteckigen, ungefähr sechs Quadratmeter großen Grube im Zentrum des Zelts starrte der immer noch schläfrigen Forscherin der Grund für ihre Albträume entgegen.
Über eine roh behauene Holzstiege kletterte sie in das Erdloch, kaue rte sich
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