Die Maya-Midgard-Mission
brachten das Wasser zum Schäumen. Mit donnerndem "Hallo!" und erhobener Faust begrüßte Ragnar seine Maya-Freunde, sprang vom Bugsteven in die seichten Brandungswellen und umarmte FeuerLicht ungestüm und mit solchen Bärenkräften, dass der Junge nach Luft schnappte.
" Ihr seid genau richtig hier", sagte FeuerLicht, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. "Ich soll euch zur Spitze des Heiligen Berges führen. Vater will euch und dem Kinich Ahau zu Ehren den Sonnentempel weihen. Und vielleicht darf ich diesmal mit auf Fahrt, Ragnar..."
Der hünenhafte Wikinger mit der leuchtend roten Mähne, dem furch terregend struppigen Bart, dem muskelbepackten Oberkörper und den gletscherblauen Augen lachte laut und herzhaft und tätschelte anerkennend FeuerLichts Schopf. "Du hast Pläne, mein Sohn. Aber was, wenn ich diesmal für immer hier bleibe? Meine Knochen werden langsam alt und morsch. Der Seewind und die ewige Feuchtigkeit haben mich ganz durchweicht."
Ragnars Lachen und seine vor Lebensfreude nur so strotzende E rscheinung standen in krassem Gegensatz zu seinen Worten. Für einen Augenblick legte sich FeuerLichts Stirn in Falten. Dann glättete ein breites Grinsen sein jungenhaftes Gesicht.
" Du bist kein Bauer, und du bist kein Steinmetz. Du bist kein Baumeister wie mein Vater, kein Priester wie meine Mutter. Du bist kein Maler, kein Glyphenritzer und auch kein Schreiber..."
" Hoho, Bürschchen!", sagte Ragnar und griff in eine breite Ledertasche an seiner Hüfte. "Ich male und schreibe. Schau her! Das ist mein Tagebuch."
Er zeigte FeuerLicht dünne Holzplättchen, die er mit Szenen von Strichmännchen aus dem Ruß der Holzkohle bekritzelt und mit dü nnen Lederriemen aneinandergebunden hatte. FeuerLicht gefiel die Spiralsonne über dem Drachenboot besonders gut.
" Dein Vater hat mir gezeigt, wie das geht."
" Trotzdem!", erwiderte FeuerLicht unverzagt. "Du bist wie Caupolican, der KriegerKaufmann. Du kannst nicht alle Lebtage an einem Ort verbringen. Du brauchst Seeluft und Abenteuer. Caupolican fehlt das auch. Deshalb möchte er uns begleiten. 'Die Insel ist wunderschön wie Chichiana, meine Frau in Caminaljuyu', sagt er. 'Aber leider nicht größer als die Brüste von Mayel Balche, meiner Zweitfrau im Land der Feuerberge. Und der Dschungel im MorgenrotLand ist nicht halb so wild und undurchdringlich wie... wie... na ja, das habe ich vergessen.'"
Die umstehenden Maya lachten.
"So, so!", sagte der FeuerEisMann. "FeuerLicht und Caupolicans Frauen. Dann werden wir ja eine lustige Reisegesellschaft, mein Sohn. Doch nun lasse uns der Einladung deines Vaters folgen."
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Dieser verfluchte Caldera! Da hatte sie ihn ermattet vom stundenlangen Entziffern der uralten Piktogramme und Glyphen für wenige Augenblicke des Schlummers aus den Augen gelassen. Und dann das!
Daria Delfonte war sicher, dass sie höchstens ein paar Minuten eing enickt sein konnte. Aber die Bücher der Sechsten Sonne, die sie zum Übersetzen aus den Steinklammern des Kandelabers gelöst und auf der Grabplatte über der Gruft ausgebreitet hatte, waren weg. Sie tastete nach der letzten Fackel, fand auch die nicht, erkannte dann zu ihrer Verblüffung, dass das Licht der Morgendämmerung den Stelenwald bereits bernsteinfarben und honiggelb erhellte – und stutzte. Hatte sie doch längere Zeit geschlafen als angenommen. Nicht nur Caldera war verschwunden. Wo sie Domnall O'Domhnaill und Virginia Gluth im tiefen Schlaf wähnte, auf dem Podest mitten im unterirdischen Wald der steinernen Bäume, war kein Nachtlager, nichts als blanker Fels. Verunsichert unterzog sie ihre Umgebung einer gründlichen Inspektion. Die Fresken an den Wänden waren verschwunden. Die Grabplatte... »Oh, mein Gott!« , murmelte sie. Die tonnenschwere Steinplatte ruhte wie zuvor auf vier Stelen. Aber der Stein war vollkommen glatt geschliffen. Keine Spur von Ornamenten, kein Relief, keine Bilder von einem sterbenden König und seiner durch die Fledermaus symbolisierten Wiedergeburt. Ein Schwindel erfasste Daria. Alles drehte sich vor ihren Augen. Sie presste die Hände an ihre Schläfen und murmelte pausenlos: "Oh Gott, ohgottohgottohgott!" Schauer erfassten ihren Körper. Eine Gänsehaut jagte die andere. Hatte die Anspannung der letzten Tage sie überfordert? Wer spielte ihr diesen bösen Streich? Hatte sie das alles nur halluziniert: den Wikinger, den Krebs, Federmanns Manuskripte, Kautskys Tod, den Sturm, die
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