Die Maya-Midgard-Mission
den Ohren. Die nahenden Krieger stampften den Wald und seine Bewohner in einer Kakophonie des Todes zu Brei. Die unheimliche Stille des Morgengrauens war brutal zerschlagen.
" Entzündet die Holzscheite!", rief der Graf den Männern auf den Wällen der Burg zu. Sie hatten große Kessel mit Pech gefüllt, um es über den Feuern zum Sieden zu bringen. Alle wussten, dass sie gegen die erwartete Übermacht keinen Sieg davontragen könnten. Aber sie wollten dem Feind so große Verluste wie möglich bereiten.
Dann preschten die ersten Reiter aus dem nahen Wald. Mit Schreien und Pfiffen feuerten sie sich selbst an. Ihre Rösser dampften erhitzt. Schaum bedeckte die Mä uler der Tiere. Sie schnaubten wild, als passe es ihnen nicht, von ihren rauen Reitern gezügelt und zum Verharren gezwungen zu werden. Die Schlachtrösser schienen noch kampflustiger als die johlenden Krieger auf ihren Rücken. Helme und Schwerter glitzerten gefährlich in der Sonne. Schon bald war die grasbewachsene Ebene vor Greenwold Castle mit Hunderten und Aberhunderten von schwarzen Punkten gespickt: Ein riesiges Heer von Menschen, Tieren und Kriegsgerät übersäte die Wiese. Ein Schnaufen und Scheppern und Scharren und Wiehern. Schweiß – Blut – Angst in der Luft. Das Glänzen von Metall. Flache Klingen auf Schilde geschlagen. Abfälliges Gejohle. Kampfgeschrei aus tausend Kehlen.
Plötzlich verstummte der Lärm wie auf Kommando: kein Krakeelen, kein Getöse, keine Pfiffe mehr. Stattde ssen senkte sich zum zweiten Mal an diesem Morgen Grabesstille über Greenwold Castle.
Und diese Stille war voller Unheil, kroch klamm wie die Oktoberkälte in die Herzen der Widerständler, griff mit eisigen Fingern nach ihrem Mut und ließ gestandene Krieger vor Angst mit den Zähnen klappern.
Vor Meldoc Wynfírs innerem Auge erschienen schreckliche Bilder von abgehackten Gliedmaßen, zerfetztem und verbranntem Fleisch, Bilder von sterbenden Männern mit schmerzverzerrten Gesichtern und g ebrochenen Augen. Die trockene Erde trank gierig das Blut der Gemetzelten, und aus der Asche von Greenwold Castle stieg der süßliche Gestank der Verwesung.
In die wilde Horde der Pferde und Reiter kam eine ordnende Bew egung. Hinter dem Banner des Herzogs und der Petersfahne erkannte Graf Meldoc einen großgewachsenen Mann mit einem purpurfarbenen Waffenrock unter einem mächtigen, ledernen Brustpanzer, der ganz in Schwarz gefärbt war. Der einzelne Reiter trug einen besonders reich verzierten Schild, und es schien, als habe er über den Waffenrock und den Brustpanzer noch ein Kettenhemd gestreift. Genau konnte Meldoc das auf die Entfernung nicht erkennen. Er bündelte seine Gedanken auf diesen Mann und war erstaunt, wie leicht das vonstatten ging. William der Eroberer musste eine ungeheuer starke Ausstrahlung verströmen. Meldoc spürte seine Aura durch die dicken Mauern des Wehrs, hinter dem er immer noch stand. Diesmal, um dem Feind ins Gesicht zu sehen.
Vor dem Reiter tat sich eine Gasse auf, die sich hinter ihm gleich wi eder schloss. Der Reiter zügelte seinen Rappen und starrte seinerseits zur Burg. Plötzlich tauchten neue Bilder vor Meldocs Auge auf: Er sah einen herrischen, selbstbewussten Mann, der keine Selbständigkeit oder andere Macht neben sich duldete; einen Menschen, der Gehorsam bis zur Unterwürfigkeit erwartete und zum Erreichen seiner Ziele keine Grausamkeit scheute; einen Herrscher, der gnadenlos sein Verständnis von Gerechtigkeit und Machtanspruch vollenden wollte. Aber er erkannte auch eine andere Seite des Normannen zu seinen Füßen: eine nachdenkliche Seite, eine gewisse Empfindsamkeit, ein Gespür für Zwischentöne, für taktische Klugheit, einen natürlichen Instinkt für das Erlangen des Machbaren und das Verwalten des Erreichten. Er sah, dass der Herzog Söhne in seinem Alter hatte. Er sah, dass William diesen Söhnen sehr zugetan war. Was ihn nicht daran hinderte, ihre Entwicklung vom Knaben zum Jüngling zum Mann und schließlich zum Herrscher mit Argwohn, ja, manchmal sogar mit Eifersucht zu verfolgen. Sollte hinter dem Brustpanzer dieses mächtigen Mannes ein liebendes Vaterherz schlagen? Für einen Augenblick sah Meldoc ein Licht der Hoffnung, das jedoch schnell verglomm, als ein eisiger Hauch der Verachtung ihn streifte. Nein, er würde seine Männer nicht retten können. Aber das sollte ihn nicht von einem Versuch abhalten.
Graf Meldoc Wynfír, genannt Openeye, schickte sich an, den Schutz seines wehrhaften Anwesens zu
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