Die Maya-Midgard-Mission
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ENGLAND , LONDON, 20. Januar 1592
Gnädigste Gebieterin, Gloriana, Mondgöttin,
verzeiht den unentschuldbaren Missbrauch Eures königlich gewährten Vertrauens. Ich habe Euch immer geliebt, ich werde Euch immer li eben, und ich liebte Euch selbst angesichts meiner bittersten Schmach: meiner Flitterwochen im Tower. Doch gefangen war nur ich, nicht aber meine Liebe zu Euch; denn diese Verehrung kennt keine Ketten, keine Gitter, keine Schranken.
Ihr ließet mich wahrhaft harte Buße erleiden, weil ich —unverzeihlich genug—ohne Eure Genehmigung Euer Edelfräulein, meine Bess, ehelichte. Alle meine Briefe, meine flehentlichsten Bitten um Vergebung, wiest Ihr zurück. Doch muss ich Euch erneut versichern, wie sehr ich Euch liebe.
" Deine Augen leuchten heller als die Sterne, der Sonne Herrlichkeit verdunkelt deines Haares Glanz, und deine Hände, die ich sehr bewundere, sind weißer noch als Elfenbein."
Allein der Gedanke, nie wieder mit meinen Lippen die alabasterne Haut Eurer wunderbar grazilen Hände zu berühren, lässt mich keinen Schlaf mehr finden. Wie kann ich Euch von der Lauterkeit meiner reinen Liebe überzeugen? Ach, liebste Monarchin, Ihr, die Ihr königl icher als jeder König seid, die duftendste Blüte aller Blumen, nur Ihr könnt die Huld Eurer Gnade mir schenken. Bitte, vergebt mir! Meine Tat war echter Frevel, aber die Verbannung vom Hofe, diese schreckliche Sühne, diese Höllenqual, nie wieder Euer liebreizendes Antlitz betrachten zu dürfen, ist schlimmer als selbst die furchtbarste Folter.
Als Beweis meiner Liebe und Verehrung möchte ich Eure Majestät in ein Geheimnis grö ßter Tragweite einweihen: Mit meinem ersten Kuss werde ich Euch Schätze zu Füßen legen, die selbst einen Mann vom Kaliber des Admirals Drake begeistern würden. Erlaubt mir, Euch die Geschichte des Landes Dorado zu erzählen und derjenigen königlichen Untertanen, die in meinem Auftrag und für die Krone bereits Besitz der Stadt Aurora genommen haben.
Noch morgen könnte ein königliches Kriegsschiff in See stechen, E urer königlichen Hoheit güldenen Glanz zu bringen, die leeren Schatzkammern zu füllen mit den Reichtümern Auroras. Noch morgen könnte ich Euch zu Füßen liegen, mein dürstendes Herz zu füllen mit den goldenen Gaben Eurer königlichen Gunst.
In verzehrender Liebe Eurer Hoheit getreuester Untertan, wie von Anbeginn bis an mein Ende, küsse ich in Demut Eure Füße.
Sir Walter Ralegh
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Im Sommer des gleichen Jahres trat eine Flotte, der auch Sir Walter Raleigh in leitender Position angehörte, eine Kaperfahrt an, die einen Teil der Schiffe bis weit über die Azoren hinaus tief in den Atlantik hinein trug. Ob Raleighs Schiffe, die sich vom Gros der Flotte unter ihrem Befehlshaber, Robert Devereux, dem Grafen von Essex, abset zten, die Auroren suchten und fanden, wurde nie bekannt. Sicher ist nur, dass Raleigh im Gegensatz zu Essex mit reicher Prise nach England zurückkehrte, wenn er auch in den folgenden Jahren seine Suche nach den Leuten von Roanoke nie aufgab.
C.M., Juni '34
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2 1 AURORA WIDER DIE WINDE
war ein Traum. Eine spirituell verklärte Wirklichkeit von zauberhafter Anmut. Santa Aurora übertraf ihre kühnsten Vorstellungen und sogar Kautskys Schwärmereien. Die verwunschene Insel trieb ihre schönsten Blüten wie in einem Märchen: das Bouquet der Düfte, der blutrote Spannungsbogen zwischen sattem Grün und grellem Gelb, das schier überschäumende Meer zwischen lieblichen Buchten und zerklüfteten Klippen. Daria Delfonte wusste nicht, wo sie mit ihrer eigenen Schwärmerei beginnen sollte.
Als Kautsky sie mit der Cuttlefish in Bridgetown abgeholt hatte, war ihr gleich diese Luft aufgefallen. Die drückende Schwüle des yukatek ischen Tieflandes wurde von einem frischen Meereshauch aus ihrer Erinnerung weggepustet. Ihr Haar wehte offen im Wind. Das Kupfergold kontrastierte kräftig mit der saphirfarbenen See. Die Brise streichelte seidig über ihre Haut. Das Rauschen der Lüfte und die rollenden Wellen erzeugten einen Rhythmus, der mitriss. Das Stampfen des Kutters war wie ein begleitender Trommelwirbel. Daria spürte das mächtige Gewoge eines Ozeans unter ihren Füßen, von den Zehenspitzen bis in den Beckenboden fühlte sie die Kraft dieser unergründlichen Tiefe. Der Himmel wölbte sich gleich einer transparenten
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