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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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Dann hätte ich das Leben nicht genug geliebt und nicht genug gelebt. Und bist du traurig über das eine Ende, dann lass es Freude über den anderen Anfang sein." Herbert schaukelte und strahlte und schaukelte aus dem Schatten des Hickorynußbaumes heraus ins Licht – und wurde Licht. Und Daria hielt inne im Lackieren der Nägel und tupfte sich eine Träne aus dem einen Auge. Das andere war trocken geblieben, und Daria verstand, dass sie schon lange nicht mehr den Verlust ihres Mannes beklagte, sondern nur über ihre eigene Einsamkeit trauerte. 
    " Damit ist es nun vorbei", sagte sie entschlossen zu sich selbst. "Ich bin hier, um die Bücher der Sechsten Sonne zu finden. Und das werde ich auch!" Zur Feier des Augenblicks war sogar Stimmchen verstummt.
    Die Villa Aurora lag im schummrigen Licht einer Glühbirnenkette, die sich wie eine Prozession verspäteter Weihnachtsglühwürmchen durch den Banyanbaum, der die Festgäste mit seiner Krone bedachte, schlä ngelte. Der echte Mond hing wie eine reife Frucht kupferrot über den schweigenden Baumwipfeln des Waldes. Aus der Nähe drang Gelächter an ihre Ohren. Die heranbrechende Nacht duftete nach Zimt und Abenteuer.
    Die Villa Aurora war von einer hölzernen Veranda umgeben. Zu ihren Füßen lag eine Terrasse aus schwarzrotem Vulkangestein, die von mit wildem Wein überwucherten Rankgittern umfasst wurde. Es herrschte quirlige Bewegung auf dem Feiergrund.
    Von ihrem erhöhten Stan dpunkt am Hang aus betrachtet, erschien es Daria, als schaue sie durch ein Elektronenmikroskop auf eine Zellkultur: Schicke Protozoen in Zweireihern umschwirrten emsig grellgeschminkte Phagozytinnen, ließen sich von deren Blicken auffressen oder verharrten im lässigen Protoplasma-Plausch. Zwei Lysosoma in zartverschrecktem Chiffon-Rosa versuchten vergeblich ihre männlichen Plastiden, die sich ziemlich platt an zwei Zystosomis im rückenfreien Zyanidblauen heranschmissen, in unverfänglichere Retikulums abzudrängen. Mikrosome verschmolzen, bildeten Grüppchen, formierten sich neu. Das Leben pulsierte wie im wirklichen Leben. Und Daria lachte vor Freude über ihre Assoziationen still in sich hinein; besonders, wenn sie sich die Golgi-Apparate der männlichen Terrassengäste vorstellte.
    »DariaDaria-Daria!« , mäßigte Stimmchen ihre Fantasie.
    Aber Daria war nicht gewillt, sich in ihrem Übermut bremsen zu la ssen. Die Gedanken sind frei. Und das Körpergefühl unter dem Seidenkleid – gepaart mit den guten Vorsätzen – trug kräftig dazu bei, dass sie derart frei blieben.
    Daria fühlte sich in eine beinahe halluzinogene Stimmung hineinkat apultiert. Es war, als beobachte sie ihr aufgedrehtes Verhalten und ihre glucksenden Gedanken durch einen Vorhang aus Seifenblasen. Sie spürte den Rausch, konnte ihn jedoch nicht erklären. Der Archäologe Howard Carter hatte sich beim Fund der Pharaonengräber mit einer geheimnisvollen Pilz-Spore infiziert. Vielleicht hatte sie sich bei ihrem Wikinger aus Toxtlipan angesteckt.
    Daria näherte sich dem feiernden Volk. Die Gespräche plätscherten jetzt gemächlicher, und selbst Gestik und Mimik der meisten Gäste wirkten aus der Nähe beäugt weniger he ktisch. Drei Männer in grünen Shorts und T-Shirts bedienten einen riesigen Räuchergrill und hatten alle Hände voll zu tun, die brutzelnden Köstlichkeiten zu drehen und zu wenden.
    Daria wusste, dass das Grillen von gewaltigen Lendenstücken über offenem Feuer, genauso wie das stundenlange Räuchern von dünnen Fleischstreifen, eine aus indianischen Bräuchen entwickelte karibische Tradition hatte. Die Fr eibeuter des 17. Jahrhunderts – von ihrem König im französischen Mutterland mit einem Freibrief zum Kapern englischer, holländischer und spanischer Schiffe ausgestattet – hatten die indianische Kunst der Fleischkonservierung durch Räuchern oder Trocknen, das sogenannte Bukanieren, ihren Bedürfnissen angepasst und weiterentwickelt und so auch ihren nom de guerre selbst geprägt: die Bukanier. Daria hatte ihre Geschichtslektion gelernt, wenn sie sich auch nicht erklären konnte, weshalb das Abrufen dieser Information eine Kaskade innerer Kicherer zur Folge hatte.
    Die Glut der Holzkohle beleuchtete drei verschwitzte Gesic hter, und Daria erkannte den stummen Vidjay unter ihnen. Seine Kollegen schienen, nach ihrem Aussehen zu urteilen, Inder zu sein wie er. Einen romantischen Augenblick lang bedauerte sie, dass diese Männer Köche und nicht Freibeuter waren. Sie stellte sich vor, wie

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