Die Mayfair-Hexen
sich das pelzgefütterte Cape fester um den Hals. »Ich kenne Samuel schon so lange.«
Er war im Aufzug, bevor ihm klar wurde, daß dieser letzte Satz absurd gewesen war. Er sagte in letzter Zeit zu vieles, was absurd war. Neulich hatte Remmick bemerkt, wie sehr ihm der Marmor in all diesen Räumen gefiele, und da hatte er gean t wortet: »Ja, ich habe Marmor gleich geliebt, als ich ihn zum erstenmal sah«, und das hatte auch absurd geklungen.
Der Wind heulte durch den Aufzugschacht, als die Kabine mit erstaunlicher Geschwindigkeit nach unten sauste. Es war ein Geräusch, das man nur im Winter hörte, ein Geräusch, das Remmick angst machte, aber er selbst hörte es ganz gern oder fand es doch zumindest unterhaltsam.
Als er in der Tiefgarage ankam, wartete der Wagen schon; er verströmte eine mächtige Flut von Lärm und weißem Qualm. Seine Koffer wurden eingeladen. Da standen sein Pilot, Jacob, und der namenlose Kopilot und der blasse, strohblonde Fa h rer, der um diese Zeit immer Dienst tat und der kaum jemals etwas sagte.
»Sind Sie sicher, daß Sie noch heute fliegen wollen, Sir?« fragte Jacob.
»Fliegt denn sonst keiner?« fragte er. Mit hochgezogenen Brauen blieb er stehen, die Hand an der Tür. Warme Luft kam aus dem Wagen.
»Doch, Sir, es fliegen Leute.«
»Dann fliegen wir auch, Jacob. Wenn Sie Angst haben, brauchen Sie nicht mitzukommen.«
»Wo Sie fliegen, fliege auch ich, Sir.«
»Danke, Jacob.«
Er lehnte sich auf dem schwarzen Ledersitz zurück und strec k te die langen Beine aus; die Füße legte er auf den Sitz gege n über, was kein Mann von normaler Größe in dieser langen Stretch-Limousine geschafft hätte. Der Fahrer wurde hinter die Glasscheibe verbannt, und die anderen folgten im Wagen hi n ter ihm. Seine Bodyguards saßen im Wagen vor ihm.
Die große Limousine rauschte die Rampe hinauf, mit halsbrecherischer, aber erregender Geschwindigkeit am Randstein entlang und durch das klaffende Maul der Garage hinaus in den zauberhaften weißen Schneesturm. Gottlob waren die Bettler von den Straßen geholt worden. Aber er hatte verge s sen, sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Sicher ha t te man einige von ihnen in seine Lobby gebracht und ihnen etwas Warmes zu trinken gegeben und Pritschen zum Schl a fen bereitgestellt.
Sie überquerten die Fifth Avenue und jagten dem Fluß entgegen. Das Unwetter war ein lautloser Wirbel entzückend winziger Flocken, die schmolzen, wenn sie die dunklen Fenster und die nassen Gehwege berührten. Zwischen den dunklen, gesichtslosen Gebäuden kamen sie herunter wie in einen tief eingeschnittenen Gebirgspaß.
Taltos.
Für einen Augenblick wich die Freude aus seiner Welt – die Freude über seine Erfolge und seine Träume. Vor seinem ge i stigen Auge sah er die hübsche junge Frau, die Puppenm a cherin aus Kalifornien, in ihrem zerdrückten violetten Seidenkleid. Im Geiste sah er sie tot auf einem Bett liegen, mit lauter Blut ringsherum, das ihr Kleid dunkel färbte.
Natürlich würde das nicht passieren. Er ließ es nie mehr pa s sieren, hatte es so lange nicht passieren lassen, daß er sich gar nicht mehr daran erinnern konnte, wie es war, die Arme um einen weichen Frauenkörper zu schlingen, kaum noch wußte, wie die Milch aus der Brust einer Mutter schmeckte.
Aber er dachte an das Bett und das Blut und das Mädchen, kalt und tot, und an ihre Augenlider, die sich blau färbten wie die Haut unter ihren Fingernägeln, und schließlich sogar ihr Gesicht. Das alles stellte er sich vor, denn wenn er es nicht täte, würde er sich zu viele andere Dinge vorstellen. Es bran n te, und das züchtigte ihn, hielt ihn in seinen Grenzen.
»Ach, was bedeutet das schon? Männlich. Und tot.«
Erst jetzt wurde ihm klar, daß er Samuel sehen würde! Er und Samuel würden Zusammensein. Dies nun rief Glücksgefühle in ihm hervor. Er hatte Samuel seit fünf Jahren nicht gesehen – oder waren es mehr? Er mußte nachdenken. Natürlich ha t ten sie telefoniert miteinander. Aber richtig gesehen hatte er Samuel nicht.
In jenen Tagen war nur wenig Weiß in seinen Haaren gewesen. Gott, wurde es so schnell mehr? Aber natürlich hatte Samuel die wenigen weißen Haare gesehen und eine Bemerkung darüber gemacht. Und Ash hatte gesagt: »Das wird weggehen.«
Für einen Augenblick hob sich der Schleier, der mächtige Schutzschild, der ihn so oft vor unerträglichem Schmerz bewahrte.
Er sah das Glen, den aufsteigenden Rauch; er hörte das schreckliche Klirren und Klappern
Weitere Kostenlose Bücher