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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Stunde können wir hier raus sein. Sie sollten sofort an Bord gehen, Sir, wenn es Ihnen recht ist.«
    »Ja, danke, Jacob«, sagte er. Er blieb stehen. Der Schnee fiel auf seinen dunklen Mantel. Er fühlte, wie er in seinen Haaren schmolz. Dennoch griff er in die Tasche und tastete nach dem kleinen Spielzeug, dem Schaukelpferd – ja, es war da.
    »Das ist für Ihren Sohn, Jacob«, sagte er. »Ich habe es ihm versprochen.«
    »Mr. Ash, daß Sie sich an einem solchen Abend an so etwas erinnern…«
    »Unfug, Jacob. Ich wette, Ihr Sohn erinnert sich auch daran.«
    Es war peinlich unbedeutend, dieses kleine Holzspielzeug; er wünschte jetzt, es wäre etwas unendlich viel Besseres. Er würde sich eine Notiz machen: etwas Besseres für Jacobs Sohn.
    Mit seinen großen Schritten ging er so schnell, daß der Fahrer kaum nachkam. Für den Schirm war er sowieso zu groß. Es war nur eine Geste, daß der Mann neben ihm herlief, den Schirm in der Hand für den Fall, daß er ihn nehmen wollte, was aber nie vorkam.
    Er bestieg das warme, enge und immer beängstigende Düsenflugzeug.
    »Ich habe Ihre Musik, Mr. Ash.«
    Er kannte diese junge Frau, aber er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Sie war eine der besten seiner Sekretäri n nen; sie hatte ihn auf der letzten Brasilienreise begleitet. Er hatte sich vorgenommen, sich an sie zu erinnern. Es war b e schämend, daß er ihren Namen jetzt nicht auf der Zunge ha t te.
    »Evie, nicht wahr?« sagte er lächelnd und bat mit einem leisen Stirnrunzeln um Verzeihung.
    »Nein, Sir. Leslie.« Sie hatte ihm schon verziehen.
    Wäre sie eine Puppe gewesen, dann wäre sie aus Biskuitporzellan gewesen, kein Zweifel – das Gesicht an Lippen und Wangen mattrosa überhaucht, die Augen klein, aber dunkel und mit tiefem Blick. Schüchtern wartete sie.
    Als er seinen Platz eingenommen hatte, den großen Ledersessel, der – länger als die anderen – eigens für ihn angefertigt worden war, legte sie ihm das geprägte Programm in die Hand.
    Es war die übliche Auswahl: Beethoven, Brahms, Schostakowitsch. Ah, hier war die Komposition, um die er gebeten hatte, Verdis Requiem. Aber jetzt konnte er sie sich nicht anhören. Wenn er sich in diese dunklen Akkorde und dunklen Stimmen gleiten ließe, dann würden die Erinnerungen ihn umschließen.
    Er legte den Kopf zurück und ignorierte das winterliche Spektakel vor dem kleinen Fenster. »Schlaf, du Narr«, sagte er zu sich, ohne die Lippen zu bewegen.
    Aber er wußte, daß er nicht schlafen würde. Er würde über Samuel nachdenken und über das, was er gesagt hatte, i m mer wieder, bis sie einander gegenüberständen. Er würde sich an den Geruch des Talamasca-Hauses erinnern und daran, wie viel Ähnlichkeit diese Gelehrten mit Geistlichen gehabt hatten, und an eine Menschenhand mit einem Federkiel, die in großen, verschnörkelten Lettern geschrieben hatte. »Anon y mus. Legenden von dem verlorenen Land. Von Stonehenge.«
    »Möchten Sie Ihre Ruhe haben, Sir?« fragte die junge Leslie.
    »Nein, Schostakowitsch. Die Fünfte Symphonie. Das wird mich zum Weinen bringen, aber beachten Sie es einfach nicht. Ich habe Hunger. Ich möchte Käse und Milch.«
    »Ja, Sir. Es ist alles vorbereitet.« Sie fing an, die Namen der Käse aufzusagen, diese feinen Triple-Rahm-Käse, die sie aus Frankreich und Italien und Gott weiß woher für ihn bestellt ha t ten. Er nickte zustimmend und wartete auf den Ansturm der Musik, auf den göttlichen, durchdringenden Klang des alles umschlingenden elektronischen Systems, der ihn vergessen lassen würde, daß es draußen schneite und daß sie bald über dem großen Meer sein würden, in stetigem Fluge, England entgegen, der Ebene, Donnelaith und der Herzensqual.

 
2

    Nach dem ersten Tag sprach Rowan nicht. Sie verbrachte ihre Zeit draußen unter der Eiche, in einem weißen Korbsessel; ihre Füße ruhten auf einem Kissen und manchmal auch nur im Gras. Sie starrte zum Himmel, und ihre Augen bewegten sich, als wäre da oben nicht das klare Frühlingsblau zu sehen, so n dern eine Prozession von Wolken, die vorüberzog.
    Sie schaute die Mauer an, die Blumen, die Eiben. Nie schaute sie auf den Boden.
    Vielleicht hatte sie vergessen, daß das Doppelgrab unmittelbar unter ihren Füßen lag. Das Gras wuchs darüber, schnell und wild, wie es das immer tat im Frühling in Louisiana. Der reichliche Regen hatte dabei geholfen, manchmal auch prächtiger Sonnenschein und Regen zur selben Zeit.
    Sie aß ihre Mahlzeiten – annähernd

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