Die McKettricks aus Texas: Über alle Grenzen (German Edition)
Tante wird sich bestimmt versorgen“, versicherte Julie ihm.
„Möglicherweise ist sie weggelaufen“, spekulierte Ava und biss herzhaft in ihren Hamburger.
„Ist sie nicht!“, rief Calvin empört über den Tisch.
„Ruhig“, sagte Julie und wuschelte ihm durch die Haare.
„Ist sie wohl!“, beharrte Ava, fügte aber schnell hinzu: „Vielleicht.“
„Erwachsene laufen nicht einfach weg“, argumentierte Calvin.
„Manchmal schon!“, konterte Ava.
„Ava“, ermahnte Tate das Mädchen. „Das reicht jetzt.“
Mürrisch gab seine Tochter klein bei.
Ihre Schwester Audrey, die lebhaftere der beiden, kam Ava zu Hilfe. „Unsere Mom ist weggelaufen. Sie ist nach New York gegangen und nicht mehr wiedergekommen.“
Erneutes Schweigen.
Dann legte Libby, die neben Audrey saß, dem Kind einen Arm um die Schultern. Über den Kopf des Mädchens hinweg sah sie zu Tate. „Deine Mutter hat dich letzten Monat erst besucht“, erinnerte sie Audrey. „Sie hat dich und Ava mit ins Ballett nach Austin genommen. Und ihr habt im Hotel übernachtet.“
Seufzend schob Tate seinen Teller von sich.
Austin fühlte mit seinem Bruder. Dessen Ehe mit der Mutter der Zwillinge war von Anfang an ein Fehler gewesen. Er und Cheryl hatten sich scheiden lassen, als die Kinder noch Babys waren. Dennoch stritten sie sich auch heute noch manchmal wegen der Zwillinge. Cheryl war vermutlich eifersüchtig auf Libby und ließ es stets gern auf eine Konfrontation ankommen.
Noch ein Grund mehr, Single zu bleiben, fand Austin. Und wenn er sich dabei einsam fühlte, konnte er sich damit trösten, dass schließlich niemand alles hatte.
In der Zwischenzeit hatte Garrett sich Calvin kurzerhand auf den Schoß gesetzt. „Deine Tante Paige würde nicht einfach weglaufen“, erklärte er dem Jungen und sah dabei Austin an. „Wahrscheinlich wollte sie kein Steak zum Abendessen.“
Was versucht Garrett denn da anzudeuten, dachte Austin. Dass es meine Schuld ist, wenn Paige nicht mit dem Rest der Familie zu Abend essen will?
Hm, vielleicht ist es tatsächlich meine Schuld.
Plötzlich war ihm der Appetit vergangen. Er entschuldigte sich und verließ den Tisch. Shep folgte ihm auf dem kurzen Weg zu seiner Wohnungstür, die Garretts gegenüberlag.
In den schrecklichen Tagen nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern waren die drei Brüder völlig verzweifelt gewesen. Damals waren sie achtzehn, neunzehn und zwanzig gewesen. Bis zu Tates Auszug hatten sie sich den Hauptteil des Ranchhauses geteilt, das unter anderem die große Küche, den Pool und das Fernsehzimmer beherbergte. Den Rest des Hauses hatten sie in drei Einliegerwohnungen unterteilt. An den Grund dafür konnte er sich nicht mehr erinnern.
Als Kinder hatten Garrett, Tate und Austin sich einen riesigen Raum mit vielen Fenstern geteilt. Als Tate in die zehnte Klasse kam, wurde der Raum in drei Zimmer aufgeteilt.
Heute gab es diese Zimmer nicht mehr, sondern stattdessen einen großen Flur. Nur die lange Reihe hoher Fenster war geblieben.
Austin betrat seinen Teil des Hauses. Seine eigene kleine Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer lagen in diesem Stockwerk. Oben gab es noch ein Arbeitszimmer und zwei Gästezimmer, außerdem den Dachboden.
Genau wie Garrett hatte Austin seine eigene Treppe nach oben.
Niedergeschlagen ging er zum Fenster und schaute über das Weideland zur Straße. Keine Frage, er hielt Ausschau nacheinem Paar Scheinwerfer, einem ganz bestimmten Paar.
Allerdings war von Paiges Wagen weit und breit nichts zu sehen.
Er wandte sich ab, betrachtete sein schlichtes Wohnzimmer und sehnte sich nach der alten Zeit, als alles noch anders gewesen war. Als seine Eltern noch gelebt hatten und sie wie eine Familie zusammengewohnt hatten und nicht wie lauter Fremde.
Das Wohnhaus der Silver Spur Ranch war vor dem Tod der Eltern ein großes Familienhaus gewesen, mit einer Küche, einem Wohnzimmer und einem Esszimmer. Zu Thanksgiving gab es einen Truthahn und Weihnachten einen Baum.
Jetzt war es hier eher wie im Grandhotel oder in einem Mehrfamilienhaus.
Jedenfalls kam es Austin nicht mehr wie ein richtiges Zuhause vor. Niemand wohnte mehr ganz hier. Stattdessen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, weil alle ständig irgendwohin unterwegs waren und jeder seinen eigenen Weg ging.
Am nächsten Morgen wachte Paige spät auf, nachdem sie sich die ganze Nacht unruhig umhergewälzt hatte. Beim Blick auf den Wecker erschrak sie, warf die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie
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