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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Malzieu
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interessierst du dich ja wirklich nicht nur für ihren Hintern. Man schmachtet einem Mädchen nicht jahrelang hinterher, wenn man sich nur für ihren Hintern interessiert, stimmt’s?«
    Er hat natürlich recht, aber jetzt, wo ich dran denke und ihn aus der Nähe sehe, interessiere ich mich auch für ihren süßen Hintern, was die Sache verkompliziert.
    »Warst du das, der während meines Auftritts so laut getickt hat? Du kommst mir irgendwie bekannt vor …«
    »Ach ja?«
    »Also, was willst du?«
    Ich hole tief Luft und nehme meinen ganzen Mut zusammen.
    »Ich habe ein Geschenk für dich. Keine Blumen und auch keine Pralinen …«
    »Was dann?«
    Ich ziehe den Strauß Brillen aus meinem Ranzen, halte ihn ihr hin und versuche vergeblich, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken. Der Brillenstrauß klappert.
    Sie zieht einen Puppenschmollmund. Dahinter kann sich ein Lächeln oder ein Wutausbruch verbergen, ich habe also keine Ahnung, woran ich bin. Der Brillenstrauß ist schwer, ich drohe einen Krampf zu bekommen und mich zum Affen zu machen.
    »Was soll das sein?«
    »Ein Strauß Brillen.«
    »Nicht gerade meine Lieblingsblumen.«
    Am Ende der Welt, irgendwo zwischen ihrem Kinn und ihrem Mundwinkel, zeichnet sich ein mikroskopisch kleines Lächeln ab.
    »Vielen Dank, aber jetzt würde ich mich gern umziehen.«
    Sie öffnet die Tür und blinzelt im grellen Licht der Straßenlaterne. Mit der Hand schirme ich ihr Gesicht vor dem Licht ab, und ihre Stirn glättet sich. Der Moment ist magisch.
    »Ich trage meine Brille nicht gern. Ich sehe damit aus wie eine Fliege.«
    »Das stört mich nicht.«
    Mit ihrer Fliegengeschichte stört sie den Zauber kurz, aber ich rette ihn mit meiner Antwort. Das Schweigen, das sich über uns legt, ist sanft wie ein Regenschauer aus Gänseblümchen.
    »Darf ich dich wiedersehen, mit oder ohne Brille?«
    »Ja.«

7
    hr winziges »Ja« klingt wie das Piepsen eines Vogelkükens, aber in mir hallt es wider wie wildes Triumphgebrüll. Rosa Schauer laufen mir über den Rücken, das Ticken meiner Uhr klingt wie eine Perlenkette, die sich Miss Acacia durch die Finger gleiten lässt. Ich bin unbesiegbar glücklich.
    »Sie hat deinen Strauß krummer Brillen angenommen?«, ruft Méliès aus. »Das heißt, sie mag dich! Kein Zweifel! Nur wenn man etwas für jemanden empfindet, nimmt man ein so absurdes Geschenk an!«, fügt er strahlend hinzu.
    Nachdem ich Méliès detailliert von unserem improvisierten Rendezvous erzählt und mich etwas beruhigt habe, bitte ich ihn, einen Blick auf meine Uhr zu werfen. Nie zuvor habe ich so starke Gefühle empfunden. Ach, Madeleine, du wärst so wütend … Méliès lächelt sein Schnurrbartlächeln und dreht vorsichtig an meinen Zeigern.
    »Tut das weh?«
    »Nein.«
    »Deine Zahnräder sind etwas heiß gelaufen, aber das ist nicht weiter schlimm. Ansonsten läuft die Uhr wie geschmiert. Gut, machen wir uns auf den Weg. Wir brauchen dringend ein heißes Bad und einen Schlafplatz.«
    Nachdem wir das Extraordinarium von vorne bis hinten erkundet haben, finden wir in einem leeren Schuppen Unterschlupf. Obwohl unsere Bleibe ziemlich schäbig ist und unsere Mägen knurren, schlummern wir wie die Babys.
    Am nächsten Morgen steht meine Entscheidung fest: Ich muss mir eine Arbeit auf dem Jahrmarkt suchen.
    Im Extraordinarium gibt es nur eine einzige freie Stelle: In der Geisterbahn wird jemand gesucht, der die Leute während der Fahrt erschreckt. Am Abend habe ich mein Vorstellungsgespräch.
    In der Zwischenzeit führt Méliès am Eingang des Jahrmarkts mit seinen abgegriffenen gezinkten Karten Taschenspielertricks vor. Er hat großen Erfolg, vor allem bei den Frauen. Die »Señoritas«, wie er sie nennt, drängen sich in Scharen um den Kartentisch und bewundern jede seiner Bewegungen. Er erzählt ihnen von seinem Plan, eine Geschichte aus bewegten Bildern zu basteln, eine Art Fotoalbum, das zum Leben erwacht. Er hat wirklich ein Händchen dafür, die »Señoritas« zu verzaubern.
    Noch am Morgen hat Méliès eine Rakete aus alten Pappkartons ausgeschnitten. Also hat er offenbar doch vor, das Herz seiner Geliebten zurückzuerobern. Er hat auch wieder angefangen, von der Reise zum Mond zu sprechen. Seine Traummaschine kommt allmählich wieder in Gang.
    Pünktlich um achtzehn Uhr stehe ich vor der Steinfassade der Geisterbahn. Ich werde von der Chefin höchstpersönlich empfangen, einer verknitterten alten Frau namens Brigitte Heim.
    Ihr Gesicht ist verkniffen, es sieht aus,

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