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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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liebe ich an dir.«
    »Ich will nicht, dass du etwas an mir liebst. Ich will, dass du mich so liebst, wie ich bin.«
    Die schwarzen Reihen ihrer Wimpern blinzeln im Takt meines Tickens. Ihre Lippen, die ich viel zu lange nicht geküsst habe, verziehen sich belustigt und zugleich misstrauisch. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Feine Nadelstiche, ein altbekanntes Gefühl.
    Auf ihren Wangen deuten sich Grübchen an, ein Trommelwirbel, der den bevorstehenden Austausch von Zärtlichkeiten ankündigt.
    »Ich liebe dich so, wie du bist«, sagt sie abschließend.
    Sie legt ihre Hände auf sensible Stellen, mir verschlägt es den Atem. Meine Gedanken lösen sich in meinem Körper auf. Miss Acacia schließt die Augen.
    Ihr Hals ist von winzigen Muttermalen übersät: Sternbilder, die sich bis zu ihren Brüsten ziehen. Ich werde zum Weltraumforscher, reise mit den Lippen zu ihren Sternen. Ihr halboffener Mund bringt mich zum Schielen, mein Blut wirft Blasen, Blitze zucken zwischen meinen Schenkeln. Ich ziehe sie fest an mich, sie blüht auf, bäumt sich auf. Aus ihren Händen fließt Starkstrom. Ich will ihr noch näher sein.
    »Für die fehlenden dreißig Prozent überreiche ich dir den Schlüssel zu meinem Herzen. Du darfst es mir zwar nicht herausreißen, aber sonst kannst du damit anstellen, was du willst. Du bist der Schlüssel zu meinem Herzen. Und weil ich dir schon jetzt hundertprozentig vertraue, wirst du deine Brille aufsetzen und mich bis auf den Grund deiner Augen sehen lassen, einverstanden?«
    Die kleine Sängerin nickt und streicht sich das Haar aus dem Gesicht. Ihre Rehaugen öffnen sich langsam. Sie setzt eine von Madeleines Brillen auf und legt den Kopf schief. Ach, Madeleine, wenn du das sehen könntest … Du wärst so wütend!
    Ich könnte ihr sagen, dass ich sie mit Brille wunderschön finde, aber da sie mir ohnehin nicht glauben würde, streichle ich einfach nur ihre Hand. Dann kommt mir der Gedanke, dass ich ihr vielleicht nicht mehr gefalle, wenn sie mich sieht, wie ich wirklich bin. Mir wird angst und bang.
    Ich drücke ihr meinen Schlüssel in die rechte Hand. Ich bin schrecklich nervös, mein Herz rattert wie eine Modelleisenbahn.
    »Wozu hast du zwei Schlüssellöcher?«
    »Eins zum Öffnen und eins zum Aufziehen der Uhr.«
    »Darf ich deine Uhr öffnen?«
    »Ja.«
    Vorsichtig steckt Miss Acacia den Schlüssel ins rechte Loch. Ich schließe die Augen und öffne sie nach einer Weile wieder, wie bei einem langen Kuss. Ich beobachte mein Feuermädchen.
    Der Moment ist unfassbar friedlich. Behutsam nimmt Miss Acacia ein Zahnrad zwischen Daumen und Zeigefinger und folgt seiner Bewegung. Ein Meer von Tränen steigt in mir auf, ich drohe darin zu ertrinken. Sie lässt los, die Schleusen der Melancholie schließen sich wieder. Miss Acacia berührt ein zweites Zahnrad – kitzelt sie etwa mein Herz? Ich lache leise, es ist kaum mehr als ein lautes Lächeln. Sie lässt den Finger ihrer rechten Hand auf dem zweiten Zahnrad und nimmt das erste wieder zwischen Daumen und Zeigefinger der linken. Als sie dann ihre Lippen auf meine presst, schwingt die blaue Fee aus Pinocchio ihren Zauberstab. Nur bei mir ist es nicht die Nase, die länger wird. Miss Acacia spürt es, beschleunigt ihre Bewegungen und übt immer stärkeren Druck auf meine Zahnräder aus. Unwillkürlich stöhne ich auf. Sie hat mich überrumpelt, meine Reaktion ist mir peinlich, vor allem aber bin ich erregt. Sie manipuliert meine Zahnräder, als wäre mein Herz eine Drehorgel, mein Stöhnen wird lauter.
    »Ich habe Lust zu baden«, murmelt sie.
    Ich nicke. Was immer sie will, ich bin dabei. Ich springe auf und tappe ins Badezimmer, um heißes Wasser in die Wanne zu lassen.
    Ich versuche, möglichst wenig Lärm zu machen, um Brigitte die Schreckliche nicht aufzuwecken. Das Bad liegt neben ihrem Schlafzimmer, ich höre sie husten.
    Das Wasser schimmert silbern in der Dunkelheit, als wäre der Himmel mitsamt Mond und Sternen in die Badewanne gefallen. Es ist überwältigend schön: Aus einem gewöhnlichen Wasserhahn fließen flüssige Planeten. Wir lassen uns vorsichtig ins Wasser gleiten, um die makellose Oberfläche nicht zu zerstören. Wir lieben uns unendlich langsam. Das Plätschern des Wassers gibt uns das Gefühl, im Bauch des jeweils anderen zu sein. Nur selten habe ich mich so geborgen gefühlt.
    Wir schreien im Flüsterton. Wir müssen leise sein. Plötzlich dreht Miss Acacia sich um, wir werden zu Dschungeltieren.
    Irgendwann sinke ich
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