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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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wird Joe mein altes Zimmer beziehen. Er wird in dem Bett schlafen, in dem Miss Acacia und ich uns zum ersten Mal nähergekommen sind, er wird durch die Gänge der Geisterbahn laufen, in denen wir uns so oft geküsst haben, er wird die Überreste unserer Träume in den Spiegeln sehen. Vom Badezimmer aus, wo wir uns vor der Welt verkrochen haben, hören wir, wie er sich draußen mit Brigitte Heim unterhält.
    »Joe war dein Geliebter, oder?«
    »Ach, weißt du, Geliebter ist nicht das richtige Wort … Ich war noch ein Kind. Wenn ich ihn jetzt sehe, frage ich mich, was ich je an ihm gefunden habe.«
    »Das frage ich mich allerdings auch. Und ich frage es dich !«
    »Damals in der Schule war er so was wie der Anführer, alle haben ihn bewundert. Ich war jung und leicht zu beeindrucken, das ist alles. Ein komischer Zufall, dass wir beide ihn kennen!«
    »Eigentlich ist es kein Zufall.«
    Ich will ihr das mit dem Auge nicht erzählen, ich habe Angst, dass sie mich für einen gefährlichen Irren hält. Ich spüre, wie die Falle zuschnappt. Ich kann nichts anderes denken als: ›Joe ist zurück, was soll ich tun? Joe ist zurück, was soll ich tun?‹
    »Wie meinte er das mit dem Schlüssel?«
    »Brigitte Heim hat mich gefeuert und stattdessen ihn eingestellt. Ab morgen schläft er in meinem Zimmer.«
    »Die Frau weiß nicht, was sie tut.«
    »Joe ist das Problem, nicht sie!«
    »Ach, sie hätte dich eh bald gefeuert. Wir suchen uns einfach ein anderes Versteck … Zur Not gehen wir auf den Friedhof, dann kannst du mir zur Abwechslung mal einen Strauß echter Blumen schenken! Es hat auch sein Gutes, dass du den Leuten keine Angst mehr machen musst. Du findest bestimmt schnell was Besseres als die Geisterbahn. Du musst dich nur auf deine Stärken konzentrieren. Und mach bloß kein Drama wegen Joe. Ich will dich und sonst niemanden, das weißt du doch, oder?«
    Ihre Worte flammen in mir auf und verglühen auf der Stelle. Die Angst webt in meinem Hals ein Spinnennetz, in dem sich meine Stimme verfängt. Ich will stark sein, aber meine Uhr ächzt und stöhnt. Komm schon, alte Pumpe, halt durch!
    Vergeblich versuche ich, die Mechanik meines Herzens zu beruhigen, aber ich versinke immer tiefer im pechschwarzen Nebel meiner Kindheitserinnerungen. Wie damals in der Schule übernimmt die Angst das Ruder. Ach, Madeleine, du wärst so wütend … Wie schön wäre es, wenn du mir heute Abend » Love is dangerous for your tiny heart « ins Ohr flüstern würdest. Ich vermisse dich so sehr …
    Die Sonne brennt unbarmherzig auf den staubigen Platz vor der Geisterbahn nieder. Auf der Uhr meines Herzens ist es Punkt zwölf. Während ich auf Joe warte, fängt meine blasse, sommersprossige Haut allmählich Feuer. Drei Raubvögel kreisen stumm am Himmel.
    Er ist gekommen, um sich zu rächen, und mir Miss Acacia wegzunehmen, wäre die grausamste Rache, die ich mir vorstellen kann. Ich warte. Die Arkaden der Alhambra verschlingen ihre Schatten. Auf meiner Stirn bildet sich ein Schweißtropfen, der mir langsam ins rechte Auge rinnt und sich dort in eine Träne verwandelt.
    Joe biegt um die Ecke der Hauptstraße, die durchs Extraordinarium führt. Ich zittere, mehr vor Wut als vor Angst. Ich bemühe mich um eine lässige Haltung, obwohl mir meine glühenden Zahnräder die Haut verbrennen. Meine Herzschläge scheppern lauter als der Spaten eines Totengräbers.
    Joe hält zehn Meter vor mir an, wir stehen einander gegenüber. Sein Schatten leckt am gelben Staub, den seine Schritte aufwirbeln.
    »Du glaubst wahrscheinlich, ich bin hier, um mich an dir zu rächen. Da liegst du falsch.«
    Seine Stimme ist immer noch eine gefährliche Waffe. Wie die von Brigitte Heim lässt sie meine Träume zu Glasscherben zerspringen.
    »Ich glaube dir kein Wort. Du hast mich jahrelang gedemütigt. Eines Tages hat sich das Blatt gewendet. Ich denke, wir sind quitt.«
    »Ich habe dir wehgetan, indem ich dich in der Schule zum Außenseiter machte, das gebe ich zu. Das habe ich aber erst begriffen, als ich nach unserem Kampf als Einäugiger in die Schule zurückkehrte. Ich sah die angewiderten Blicke der anderen. Sie waren wie ausgewechselt und mieden mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit, als würden auch sie ein Auge verlieren, wenn sie nur mit mir redeten. Tag für Tag wurde mir klarer, was ich dir angetan hatte …«
    »Aber du bist doch sicher nicht quer durch Europa gereist, um dich bei mir zu entschuldigen, oder?«
    »Nein. Wir haben noch eine Rechnung
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