Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
unter Zuckungen in mich zusammen wie ein angeschossener Westernheld. Sie stößt einen unendlich langsamen Schrei aus, und mein Kuckuck beginnt in Zeitlupe zu rufen. Ach, Madeleine …
Dann schläft Miss Acacia ein, und ich beobachte sie. Ihre langen geschminkten Wimpern betonen ihre ungezähmte Schönheit. Sie liegt so lasziv da, dass ich mich frage, ob ihr Beruf als Sängerin sie nicht dazu abgerichtet hat, selbst im Schlaf noch für einen imaginären Maler zu posieren. Sie ähnelt einem Gemälde von Modigliani, einem Gemälde von Modigliani, das leise schnarcht.
Am nächsten Morgen geht das Leben meiner kleinen Sängerin weiter. Sie ist ein aufsteigender Stern am Flamencohimmel, und eine Menge Leute ohne erkennbare Aufgabe umschwirren sie wie lebendige Gespenster.
Das parfümierte Rudel jagt mir mehr Angst ein als Wölfe in einer Vollmondnacht. Alles ist nur Glitzer und Glimmer, hohles Geschwätz, leer wie eine Gruft. Ich weiß nicht, wie Miss Acacia es schafft, in diesem Flittermeer den Kopf über Wasser zu halten, aber ich bewundere sie dafür.
Eines Tages wird man sie mir wegnehmen und ins All schießen, um zu erforschen, wie Außerirdische auf erotische Ausstrahlung reagieren. Miss Acacia wird singen, tanzen, die Fragen der intergalaktischen Journalisten beantworten, für ihre Kameras posieren und nie mehr zur Erde zurückkehren. Fehlt nur noch Joe, der meine Sängerin auf einem fernen Planeten in den Armen hält, als saures Sahnehäubchen auf dieser schimmeligen Torte des Grauens.
In der folgenden Woche tritt Miss Acacia in Sevilla auf. Ich nehme Méliès’ Rollbrett und überquere die roten Berge, um sie nach der Vorstellung in ihrem Hotelzimmer zu besuchen.
Auf dem Weg überbringt mir die Taube einen weiteren Brief von Madeleine. Wieder sind es nur ein paar Zeilen, immer dieselben Worte, die so gar nicht zu Madeleine passen. Ich sehne mich nach so viel mehr … Ich wünschte, Madeleine und Miss Acacia könnten sich kennenlernen. Natürlich würde Madeleine sich schreckliche Sorgen wegen unserer Liebe machen, aber charakterlich würde ihr meine kleine Sängerin gefallen. Dass meine beiden Wölfinnen sich miteinander unterhalten, ist ein wunderschöner Traum, der mich nicht loslässt.
Am Tag nach Miss Acacias Auftritt schlendern wir Hand in Hand durch Sevilla, wie ein echtes Liebespaar. Es ist sonnig, aber nicht zu heiß, und eine laue Brise streichelt unsere Haut. Unsere Hände sind ungeschickt, denn sie wissen nicht, was normale Menschen bei Tageslicht tun. In der Nacht, ferngesteuert von unserer Begierde, kennen sie einander in- und auswendig, aber jetzt könnte man sie für vier linke Hände halten, die gemeinsam »Guten Tag« schreiben sollen.
Unsere Bewegungen sind unsicher, wir sind ein Vampirpärchen, das am helllichten Tag ohne Sonnenbrillen auf dem Markt einkaufen geht. Ich kann mir trotzdem nichts Romantischeres vorstellen. Arm in Arm am Ufer des Guadalquivir entlangzuschlendern, mitten am Nachmittag, ist für mich Erotik pur.
Allmählich brauen sich finstere Wolken über unserem Glück zusammen. Ich bin stolz auf Miss Acacia, so stolz, wie ich noch nie auf irgendetwas war. Doch die begehrlichen Blicke meiner Geschlechtsgenossen machen mich mit der Zeit immer eifersüchtiger. Zur Beruhigung sage ich mir, dass Miss Acacia sie ohne Brille vielleicht gar nicht sieht, diese Horde Schönlinge, im Vergleich zu denen ich mir wie ein hässliches Entlein vorkomme. Ich fühle mich verloren in der von Konzert zu Konzert größer werdenden Zuschauermenge, die ihr zujubelt, während ich wie ein Fremder allein in mein Schattenreich zurückkehren muss. Leider versteht Miss Acacia nicht, warum ich darunter leide.
Ich habe ihr bisher nicht verraten, dass ich mich so leichtsinnig verhalte wie ein Diabetiker, der sich von früh bis spät mit Schokolade vollstopft. Ich habe auch gar keine Lust, es ihr zu erzählen. Aber wenn Madeleine recht hat, stehe ich mit einem Fuß im Grab.
Werde ich durchhalten? Oder gibt meine morsche Kuckucksuhr bald den Geist auf?
Um dieser ohnehin schon scharfen Salsa noch etwas Chili beizumischen, ist Miss Acacia mindestens genauso eifersüchtig wie ich. Sie runzelt die Stirn wie eine Löwin, die zum Sprung ansetzt, sobald sich eine halbwegs anmutige Gazelle in mein Blickfeld verirrt, selbst außerhalb der Geisterbahn.
Anfangs finde ich das schmeichelhaft und bin überzeugt, dass Miss Acacia mir glauben wird, wenn ich ihr sage, dass andere Mädchen mich nicht interessieren.
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