Die Medica von Bologna / Roman
ich mich geklammert hatte, seitdem ich ihn kannte, war zerbrochen. Er konnte mir nicht helfen. Ich konnte mir nur selbst helfen, indem ich mir versicherte, ich könne nicht alles im Leben haben und müsse zufrieden sein, von einem so gutaussehenden, erfolgreichen Mann geliebt zu werden. Dennoch schienen die Tränen ein Eigenleben zu entwickeln, kümmerten sich nicht um mich und meine Tapferkeit, sondern rannen und rannen, während Gaspare mich hielt und tröstende Worte für mich fand. »Weißt du was?«, sagte er und sprach weiter, ohne meine Antwort abzuwarten. »Wir gehen morgen zusammen zur Theriak-Zeremonie. Ich nehme dich mit ins Archiginnasio, denn es ist ein Ereignis, an dem auch Frauen teilnehmen dürfen.«
»Würdest du das wirklich tun?« Ich schniefte und merkte, wie der verlockende Gedanke meine Trauer vertrieb. Wieder musste ich an Marco, meinen armen Marco, denken, der mir das Geschehen im Hof des Archiginnasios in so glühenden Farben geschildert hatte.
»Ja, das würde ich. Meine Mutter ist übrigens auch da.«
»Deine Mutter …?«
»Keine Angst, wir gehen nicht zusammen hin. Sie wird das Ereignis nutzen, um sich mit einigen Geschäftsfreunden zu besprechen. Aber treffen werden wir sie bestimmt. Zieh dir also etwas Hübsches an.«
»Ja«, sagte ich, »das werde ich.«
Gaspare und ich standen in einem Meer aus Menschen, hoch oben in der Hofloggia des Archiginnasios, und blickten hinab auf das geschäftige Treiben unter uns, wo es genauso bunt und laut zuging, wie Marco es mir beschrieben hatte. Nur dass diesmal die Gerüche hinzukamen. Sie rührten von den zahllosen Kräutern her, die auf den mit Girlanden geschmückten Karren im Hof standen, von den Drogenschwaden, die dampfend aus den großen Kesseln aufstiegen, und von den verschwenderisch nach Veilchen, Jasmin, Rosen, Lavendel, Bergamotte, Sandelholz oder Zeder duftenden Parfumkugeln, Duftbeuteln oder Riechkissen, die von den Damen gegen Schweißgeruch getragen wurden. Auch ich hatte ein solches Utensil unterhalb meines Dekolletés verborgen, wenn auch sein Duft ungleich weniger aufdringlich war. Aus Geldmangel hatte ich mir selbst eine Mischung aus Gartensalbei, Thymian und Moos hergestellt und kam mir mit meinem hausgemachten Duft recht armselig vor, aber Gaspare meinte, das Aroma würde ausgezeichnet zu mir passen. Ich war so sehr in Festtagslaune, dass ich ihm sogar glaubte.
Ich konnte mich nicht sattsehen an den Wappen und Fahnen, den übergroßen Büsten von Hippokrates und Galen, die in ihren Händen zwei Majolika-Vasen hielten, riesige Behältnisse, in die der Theriak nach seiner Zubereitung gefüllt werden sollte. Überall war Lachen, Rufen, Singen zu hören. Das Läuten von
la scolara,
der großen Glocke von San Petronio, klang beständig herüber, und das unablässige Gemurmel aus Hunderten von Mündern erinnerte mich an das Summen der Bienen, das ich vor vielen Jahren zu Hause in der Strada San Felice zu hören glaubte.
Ein Traum war für mich in Erfüllung gegangen. Ich war im Archiginnasio, im Allerheiligsten des Wissens, der Forschung und der Lehre, und ich war an der Seite eines hochgeachteten Mannes.
Irgendwann sagte Gaspare zu mir: »Komm, wir gehen hinunter in den Hof. Dort können wir alles hautnah erleben.«
Angesichts der vielen Pedelle und Ordner fragte ich: »Dürfen wir das denn?«
Er lachte stolz. »Vergiss nicht, Bleiweißmädchen, du befindest dich an der Seite des Doktors der Medizin, Gaspare Tagliacozzi.«
Er sollte recht behalten. Unten vor der Absperrung genügte ein kurzer Wink von ihm, und wir wurden durchgelassen. Wir betraten den mit karmesinrotem Damast ausgelegten Hof, der mir vorkam wie eine Arena. Alles war hier noch viel intensiver: der Lärm, die Gerüche, die Rufe und die Befehle. »Professore, darf ich Euch Schwester Carla vom Hospital der Nonnen von San Lorenzo vorstellen?«, hörte ich Gaspare plötzlich an meiner Seite rufen. Vor uns stand ein etwa fünfzigjähriger Herr, dessen schlohweißer Bart in seltsamem Gegensatz zu seinen noch jugendlichen Gesichtszügen stand. Er war kostbar gekleidet und trug trotz der frühlingshaften Temperaturen einen Kragen mit breitem Fuchsbesatz. »Ulisse Aldrovandi«, sagte er und deutete eine Verbeugung an.
»Ich freue mich«, sagte ich verlegen. Niemals hätte ich zu träumen gewagt, einem so berühmten Mann Auge in Auge gegenüberzustehen.
»Doktor Tagliacozzi hat mir von Eurem Geschick in medizinischen Dingen erzählt und Euch in den höchsten
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