Die Medica von Bologna / Roman
will außerdem betonen, dass sie zwar das Herz eines jeden wirksamen Theriaks ist, aber letzten Endes auch nur ein Ingredienz unter Dutzenden anderer. Zur Vertiefung des heute Gesehenen und Gehörten empfehle ich Euch die Lektüre eines Handbuchs zur Herstellung von Theriak für die Apotheker von Neapel. Es wurde vor zwei Jahren von meinem Freund Marc Antonio Ulmi in Venedig herausgebracht. So weit, so gut. Nachdem Ihr nun in die Geheimnisse der Theriak-Herstellung eingeweiht seid, mögt Ihr der eigentlichen Gewinnung im Hof des Archiginnasios umso leichter folgen können. Am kommenden Sonntag findet die Zeremonie offiziell statt, und ich erwarte, dass jeder von Euch daran teilnimmt. Da sie wie immer öffentlich ist, steht einer Begleitung durch Eure Eltern oder durch Verwandte nichts im Wege. Die Lektion ist für heute beendet. Wir sehen uns morgen früh um neun Uhr zur Vormittagsstunde in der
Scuola d’Aranzio
wieder.«
Am Tag vor dem Sonntag saß ich mit Gaspare im Kaminzimmer und sagte zu ihm: »Wo sind eigentlich die zwölf Nasenmodelle, die auf dem Sims standen?«
»Ich habe sie fortgenommen.« Die Antwort klang etwas einsilbig.
»Und warum?«
»Weil du mich von ihrer Entbehrlichkeit überzeugt hast.«
»Oh, das wusste ich ja gar nicht.«
»Dann weißt du es jetzt.«
»Gut«, sagte ich und erkannte, dass er sein Eingeständnis als Niederlage empfand. Ich wollte ihm sagen, dass er das nicht müsse, spürte aber, dass ich es ihm damit nur schwerer machen würde. Darüber wunderte ich mich, denn ich verstand noch nichts von Männern und ihrem Hang, immer recht haben zu müssen. Also sagte ich: »Glaub mir, ich fand die Modelle trotzdem sehr, sehr schön.«
»Waren sie das?«
»Ja, wirklich.«
»Lieb, dass du das sagst, mein Bleiweißmädchen.«
Wir schwiegen eine Weile, dann nahm ich das Gespräch wieder auf: »Du … Gaspare?«
Er konnte schon wieder schmunzeln. »Wenn du mich so ansprichst, willst du etwas von mir. Was ist es?«
»Wo du mich gerade wieder Bleiweißmädchen nennst: Ich muss manchmal daran denken, dass du gesagt hast, der Stoff wäre giftig.«
»So giftig nun auch wieder nicht. Warum fragst du?«
»Weil ich … weil ich …«
»Nur heraus mit der Sprache.« Er nahm mir das Glas aus der Hand, um mich besser an sich drücken zu können. »Was bewegt dich, meine kleine Warumfragerin?«
»Ich wollte dich bitten, mich von meiner
voglia di vino
zu befreien.«
Er runzelte die Stirn. »Du meinst, ich soll dein Feuermal operativ entfernen?«
»Ja, bitte.«
»Offen gesagt habe ich mit dieser Frage schon seit einiger Zeit gerechnet.«
»Und … was sagst du?«
Er seufzte. Dann, plötzlich, fing er an zu lachen. »Es ist dein Feuer, das sich in diesem Mal zeigt, mein Bleiweißmädchen, deine Hingabe, deine Leidenschaft! Warum sollte ich etwas entfernen, dem ich so viel Genuss verdanke?« Er küsste mich, doch ich fühlte mich verwirrt und verletzt. Alles hätte ich erwartet, nur nicht diese Antwort. Ich musste an den unglücklichen Marco denken, meinen Verlobten, der einst sagte, er sehe nicht nur das Mal in meinem Gesicht, sondern die Schönheit dahinter, die innere Schönheit. Gaspare hingegen begrenzte unsere Liebe auf das rein Geschlechtliche. Ich versteifte mich. »Meinst du das im Ernst?«
Er lächelte. »Oh, da habe ich wohl etwas Falsches gesagt? Aber eigentlich war es nur als Kompliment gedacht.«
»Hilfst du mir?«
Er wurde wieder ernst. »Selbst wenn ich es wollte, es gelänge nicht. Du weißt, niemand versteht mehr vom Heraustrennen der Haut als ich. Ich weiß von alten indischen Abbildungen, wie es aussieht, wenn man eine Nase mit Hilfe eines Lappens aus der Stirn rekonstruiert. Ganz davon abgesehen, dass der Lappen um die eigene Achse gedreht werden muss, um heruntergeklappt an den aufgefrischten Nasenstumpf genäht zu werden, und ebenfalls außer Acht gelassen, dass dieses Bemühen im Resultat mehr als mangelhaft aussieht, hinterlässt ein solcher Eingriff eine tiefe dreiecksförmige Narbe auf der Stirn. Ähnlich tief wären die Spuren auf deiner gesamten linken Gesichtsseite. Glaub mir, du würdest am Ende nur ein Feuergesicht für ein Narbengesicht eintauschen. Nein, du solltest beim Bleiweiß bleiben. Es ist probat und wirkt vornehm und« – sein Lächeln wurde breiter – »ich habe mich daran gewöhnt.«
Ich schluckte, um meine aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Das, was Gaspare gesagt hatte, klang leider nur zu überzeugend. Der Strohhalm, an den
Weitere Kostenlose Bücher