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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sie mit großer Geschwindigkeit den Apfel umflog, als suche sie den Eingang zum Gehäuse. Das fand ich lustig, und ich musste lachen. Später hörte die Biene auf zu summen, weshalb ich für sie weitersummte, und als Adam erklärte, er wolle wieder nackt werden, wie Gott ihn erschaffen hätte, sagte ich ihm, dass er das Kostüm des Karobuben unbedingt anbehalten müsse, weil es so schön sei. Und ich zählte ihm jede Einzelheit des Kostüms auf, denn es war mir sehr wichtig, ihn zu überzeugen …
    Ich weiß nicht, wie lange meine Mutter mich an jenem Tag allein ließ, in jedem Fall dunkelte es schon, als ich mit fieberheißer Stirn erwachte. Die Figuren in den Fresken über mir verharrten wieder steif und starr in ihrer ursprünglichen Position, und nichts deutete mehr darauf hin, dass Leben in ihnen gesteckt hatte.
    Meine Mutter betrat den Raum, setzte sich auf mein Bett und ergriff meine Hand. »Ich bin schon einige Zeit zurück, meine Kleine«, sagte sie. »Du hast sehr viel geredet, unverständliches Zeug, das mich beunruhigt hat.«
    »Ja, Mamma.«
    »Bist du sicher, dass du nur geträumt hast? Bitte denke genau nach.«
    Ich nickte schwach. »Ich habe die Biene gesehen, wie sie den Apfel im Paradies umkreiste.«
    In die Augen meiner Mutter traten wieder jene Ängste und Zweifel, die ich schon kannte. »Die Biene?«
    »Sie umkreiste den Apfel im Paradies, und sie summte so laut. Sie war verzweifelt, weil sie den Eingang zum Gehäuse des Apfels nicht finden konnte.«
    Meine Mutter schluckte. »Ja, ja, natürlich, die Biene. Du musst ganz ruhig bleiben, meine Kleine, reg dich nicht auf, hörst du, stell dir etwas Schönes vor, die Engel im Himmel, wie sie singen, oder so etwas, und reg dich nicht auf.«
    »Ich reg mich nicht auf. Es sah wirklich so aus, als wollte sie ins Gehäuse fliegen.«
    »Gewiss, du siehst Dinge, die andere nicht sehen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir das ändern.«
    Ich wusste nicht, was meine Mutter damit meinte, aber ich war zu träge, um nachzufragen. Deshalb sagte ich nur: »Ich habe die Biene mit dem Apfel gesehen. Und Adam und Eva und die Schlange habe ich auch gesehen.«
    »Sicher, sicher.«
    »Alles war verkehrt. Die Schlange hatte den Apfel im Maul, und Adam trug das Kostüm des Karobuben und Eva ein Schuppenkleid aus Feigenblättern.«
    Meine Mutter begann, mit zitternder Stimme zu beten.
    »Aber ich habe gemerkt, dass es verkehrt war.«
    »Ja, ja.« Meine Mutter hörte kaum noch zu. Ihre Lippen formten beschwörende Worte, und in diese Worte hinein mischten sich plötzlich andere, die von der Tür herkamen. Ihr Kopf fuhr herum. »Dem Allmächtigen sei Dank, ich dachte schon, Ihr kommt nicht mehr, Hochwürden!«
    Pater Edoardo, seines Zeichens Seelsorger der Gemeinde San Salvatore, trat murmelnd näher.
In nomine patri et filii et spiritus sancti,
kam es monoton von seinen Lippen, während er ein silbernes Kruzifix zum Banne des Bösen hochhielt. Seine langsamen, konzentrierten Schritte erinnerten an die eines Wünschelrutengängers. »Jesus Christus, dessen Name gepriesen sei, dessen Name ich laut und vernehmlich ausspreche, dessen Name den Dämon aus dem Leibe treibe, hat mich an diesen Ort geführt, um …« Jäh hielt er inne. »Was ist das? Ich sehe die
voglia di peccato
im Gesicht Eurer Tochter, das Mal der Sünde! Davon war nicht die Rede, als Ihr mich rieft, Signora.«
    Meine Mutter schlug schuldbewusst die Augen nieder.
    Ich jedoch blickte den Pater an. Was ich sah, war ein stämmiger Mann mit grauem Bart und eng zusammenstehenden Augen, und dieser Mann hatte mein Feuermal soeben mit jenem Ausdruck bedacht, den auch die unselige Signora Vascellini damals benutzt hatte –
voglia di peccato.
    »Das Mal der Sünde macht die Sache nicht einfacher, Signora, und das wusstet Ihr auch. Nun, ich vergebe Euch. Der Allerhöchste hat mir auf Erden eine Aufgabe zugeteilt, und ich werde diese Aufgabe nicht von mir weisen. Ebenso, wie die heilige Mutter Kirche mich auf ihren Schild gehoben hat, um Teufelsaustreibungen mit Hilfe Jesu zu vollbringen, Missionen, die ich … äh, wie war noch der Name Eurer Tochter?«
    »Carla, Hochwürden.«
    »Carla, kannst du mich hören?«
    Ich nickte und musste gleichzeitig husten.
    Pater Edoardo ließ das Kruzifix los, das ihm an einer Kette um den Hals hing, und schlug das Kreuz. »Sie hat mich verstanden«, sagte er, zu meiner Mutter gewandt. »Das ist ein gutes Zeichen, ihre Seele ist nach wie vor in ihr, aber da ist noch etwas anderes in

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