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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ich wollte nicht weinen. Ich war kein kleines Kind mehr, ich war nicht mehr die kleine Carla, die man demütigen und herumstoßen konnte. Ich wollte mich wehren. Ich wollte der Situation Herr werden.
    Und ich würde der Situation Herr werden..
    Ich nahm meine Bücher und etwas Mundvorrat, packte es in eine Tasche und schlich damit zu Capo, der angebunden an einen Baum auf mich wartete. Ich strich ihm über den Hals, sprach beruhigend auf ihn ein, auch wenn ich selbst alles andere als ruhig war, und hängte ihm die Tasche um. Er antwortete mir mit dem Spiel seiner Ohren. Ich war ihm dankbar, denn ein Teil seiner Gelassenheit ging auf mich über. »Warte hier, Capo«, sagte ich. »Ich bin gleich zurück.«
    Ich ging hinüber zu den Eseln, wo Teile der Ausrüstung und andere Gerätschaften am Boden lagen, und stöberte möglichst leise darin herum. Dann hatte ich gefunden, was ich suchte. Es war eines der Ersatzhufeisen. Das kühle Metall wog schwer in meiner Hand, als ich weiterschlich, geradewegs zu den Halunken. Sie lagen auf dem Rücken, das Schwert griffbereit neben sich, und schnarchten mit offenen Mündern. Ich trat an sie heran, mein Herz klopfte wie wild. Ich wusste nicht, ob ich es können würde, aber ich musste es tun. Ich holte aus und schlug zuerst Luca das Eisen an den Kopf. Er gab ein Röcheln von sich, zuckte, drehte sich auf die Seite und schnarchte nicht mehr.
    Hatte ich ihn …? Ich mochte den Gedanken nicht zu Ende denken. Ich wollte keinen Mord auf dem Gewissen haben. Vorsichtig beugte ich mich zu seinem Kopf hinab. Saurer Weindunst umnebelte mich. Ich spitzte die Ohren. Ja!
Grazie a Dio,
ich hörte leises, flaches Atmen. Ich hatte ihn nicht getötet, ich hatte ihn nur bewusstlos geschlagen. Genau das, was ich erreichen wollte.
    Einige Herzschläge später, und schon um einiges mutiger, wiederholte ich die Prozedur bei Manuel. Auch er verstummte, nachdem er einen ächzenden Laut ausgestoßen hatte.
    Ich nahm die Waffen der beiden Lumpen und warf sie in einen nahe gelegenen Bach. Anschließend ging ich zu ihren Pferden und den beiden Eseln. Nacheinander band ich die Tiere los und gab ihnen einen kräftigen Klaps auf die Flanke. Die Pferde verharrten einen Augenblick, als wollten sie ihre neue Freiheit nicht annehmen, aber dann trabten sie in die Nacht davon. Die Esel folgten ihnen in einigem Abstand. Nur Capo stand noch da, seelenruhig und mit den Ohren spielend. »Komm, Capo«, sagte ich.
    Ich nahm ihn beim Zügel und ging die wenigen Schritte zu der breiten Straße, die schon von den Römern angelegt worden war. Damals hieß sie Via Aemilia und hatte einem ganzen Landstrich ihren Namen gegeben. Doch daran dachte ich nicht. Schritt für Schritt tastete ich mich vorwärts und bedauerte meine körperliche Schwäche, die es mir unmöglich gemacht hatte, den schweren Damensattel aufzulegen.
    Capo und ich kamen nur langsam voran. Ich schätzte, zwischen uns und den beiden Schandbuben lagen zwei oder drei Meilen, als es langsam zu dämmern begann. Es war die Zeit, zu der Luca mich hatte vergewaltigen wollen.
Va’ a ramengo!
    Vor mir zur Rechten tauchte ein Baumstumpf auf. Eine Idee kam mir. »Brrr, Capo!« Gehorsam hielt der Wallach an. Ich dirigierte ihn, bis er direkt neben dem Baumstumpf stand, kletterte hinauf und schwang von dort ein Bein über seinen breiten Rücken. Ich hatte beschlossen, ohne Sattel weiterzureiten, breitbeinig wie ein Mann. Was die Entgegenkommenden darüber denken würden, kümmerte mich nicht, wahrscheinlich würden sie überhaupt nicht denken, denn sie hatten ganz andere Dinge im Kopf.
    In den späten Vormittagsstunden befand ich mich nur noch wenige Meilen von meinem Ziel entfernt. In den Geruch des vom Meer heranwehenden Windes mischte sich mehr und mehr der Gestank nach Tod. Die ersten Leichen lagen am Wegrand. Capo passierte sie mit stoischem Schritt, während ich versuchte, angesichts des Elends und der Hoffnungslosigkeit, die mir allerorten entgegenschlugen, die Fassung zu bewahren. Und während wir weitergingen, stieg die Zahl derer, die auf der Flucht von der Pestilenz eingeholt worden waren. Wie ein Krake mit tausend Armen hatte sie sich die Fliehenden gegriffen, zu Boden geworfen und mit ihrer alles verderbenden Kraft getötet. Ich sah Menschen, die mitten in der Bewegung erstarrt zu sein schienen, Menschen, die nur zu schlafen schienen, wenn nicht die Ausdünstungen gewesen wären, die ihren faulenden, aufgeblähten Körpern entwichen. Ich sah Menschen in Lumpen,

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