Die Medica von Bologna / Roman
an diesem Tag schienen die beiden mir allerdings besonders einsilbig. Vielleicht, weil sie einen kapitalen Kater hatten, vielleicht aber auch, weil der Bordellbesuch nicht ihren Erwartungen entsprochen hatte. In der Herberge Rovigos, der einzigen am Platz, kam ich am Abend zum ersten Mal dazu, etwas von meiner mitgeführten Literatur zu lesen. Galen, der Vielzitierte, machte es sich in seinen Ausführungen über die Pest vergleichsweise leicht, er riet:
Cito longe fugas et tarde redeas,
was nichts anderes heißt, als dass man bei ihrem Ausbrechen flugs Reißaus nehmen und möglichst spät zurückkehren möge. Diese Empfehlung fand ich wenig hilfreich, denn ich hatte das genaue Gegenteil vor.
Mehr versprach ich mir von der Lektüre einer erst vor acht Jahren in Deutschland erschienenen Dissertation mit dem Titel
De vera curandae pestis ratione
von Johannes Pistorius dem Jüngeren. Seine Vorschläge zur rechten Art, die Pest zu behandeln, waren vielfältig und ausführlich. Mich interessierte besonders die Verarztung der mit dieser Krankheit einhergehenden Beulen, vom Fachmann Bubonen genannt, weshalb ich mir einige Stichwörter aufschrieb, um sie mit Doktor Sangio besprechen zu können. Ich stellte ihn mir als einen blassgesichtigen, freundlichen Bücherwurm vor, mit vom Lesen und Schreiben schwachen Augen und einem Körper, der altersbedingt aus dem Leim gegangen war.
Gaspare hatte mir versichert, Sangio sei ein sehr hilfsbereiter Mensch, jedenfalls, so weit ihm bekannt sei, denn er hätte noch nicht das Glück gehabt, ihm persönlich zu begegnen. Umso gespannter sei er auf meinen Bericht. »Ich bin mir gewiss, Bleiweißmädchen, dass der berühmte Doktor dir helfen wird«, hatte er gesagt – und damit wohl eher gemeint, dass Sangio Professor Aldrovandi helfen würde –, bevor er mir das Empfehlungsschreiben und einen persönlichen Brief des Professors überreichte.
Ich las bis in die tiefe Nacht hinein, und irgendwann verschwammen die Bilder von Gaspare, Professor Aldrovandi, Doktor Sangio und Johannes Pistorius vor meinen Augen, die Buchstaben begannen zu tanzen, und ich sank in einen unruhigen Schlaf.
Von Padua und seinen Sehenswürdigkeiten – der Basilika des heiligen Antonius, dem Prato della Valle, dem Reiterstandbild des Gattamelata oder der Capella degli Scrovegni mit ihren wunderschönen Freskenmalereien von Giotto – bekam ich am nächsten Tag ebenso wenig mit wie von der berühmten Universität. Wir durchquerten zügig die abendlichen Straßen, bevor wir in einer Locanda nahe der Stadtmauer speisten und übernachteten.
Am anderen Morgen brach unser letzter Reisetag an. Nur wenige Meilen, nachdem wir Padua verlassen hatten, begegneten wir Menschen auf der Straße, die sich anders gebärdeten als alle, die wir bisher gesehen hatten. Sie waren weder Reisende noch Händler, weder Bauern noch Kuriere – sie waren Fliehende. Fliehende vor der Pest. Angst und Panik standen ihnen ins Gesicht geschrieben, ihre Augen waren schreckgeweitet, während sie ihre wenige Habe zu Fuß, zu Pferd oder auf holprigen Gefährten zu retten versuchten. »Kehrt um!«, riefen sie uns entgegen. »Kehrt um, wenn euch euer Leben lieb ist! Venedig stirbt, es gibt Dutzende und Aberdutzende von Toten!«
Je weiter wir ritten, desto höher wurde die Zahl der Toten, die man uns zurief. Aus Dutzenden wurden Hunderte, aus Hunderten Tausende. Und mit jeder neuen Zahl spürte ich, wie meine beiden wortkargen Begleiter unruhiger wurden.
Am Nachmittag befanden wir uns zehn Meilen vor Venedig. Man konnte das Meer schon riechen und – den Tod. Der Seewind wehte den Geruch heran. Ich hatte ihn noch nie wahrgenommen, aber ich wusste, es war der Odem der Verwesung. »Wir sollten hier rasten und übernachten, Signorina«, sagte Luca.
»Aber wir sind doch nur noch wenige Meilen von Venedig entfernt«, wandte ich ein.
»Ob wir heute oder morgen da sind, der Pest ist’s einerlei«, sagte Manuel. »Wir sollten hier rasten.«
Widerstrebend lenkte ich ein. Wenn ich ehrlich war, drängte es mich auch nicht, in die vom Schwarzen Tod regierte Stadt zu kommen. Wir banden die Tiere an und richteten ein Lager ein. Luca und Manuel halfen mir, luden für mich ab und bauten mir ein Zelt auf. Ich wunderte mich über ihre ungewohnte Hilfsbereitschaft, dachte aber nicht weiter darüber nach. Ich bat beide, mir ein Feuer zu entfachen, und auch das taten sie, ohne zu murren.
Nach einem einfachen Mahl aus Brot und Käse vertiefte ich mich wieder in
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