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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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vorstellte, mein Name ist Daniele. Ich werde mich um Euch kümmern, solange Ihr wartet. Wenn etwas nicht gleich klappen sollte, zürnt mir nicht.«
    »Warum sollte ich dir zürnen?«
    »Ich bin allein im Haus, alle anderen Diener sind von der Geißel gemeuchelt worden.«
    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er mit »Geißel« die Pest meinte. Die tödliche Krankheit hatte also selbst vor dem Haus eines Arztes nicht haltgemacht. Aber war das verwunderlich? Der Schwarze Tod scherte sich nicht darum, ob einer klug oder dumm, reich oder arm, jung oder alt war. Er raffte wahllos alle dahin. »Das tut mir leid, Daniele.«
    »Danke, Signorina. Wie ich sehe, habt Ihr Bücher zum Lesen dabei. Das ist gut, denn es kann dauern, bis Doktor Sangio Euch empfängt. Wenn er Euch überhaupt empfängt.«
    »Was sollte ihn davon abhalten?«
    »Ich fürchte, ich darf Euch keine Auskunft geben.«
    Diese Antwort hatte ich schon einmal gehört, deshalb fragte ich nicht weiter nach. Ich spürte, dass ich Daniele, der ein umgänglicher Mensch zu sein schien, damit in Verlegenheit bringen würde. Ich aß etwas von dem einfachen Mahl, das aus ein paar Oliven, etwas Wurst und einigen Scheiben Brot bestand. Daniele erriet wohl meine Gedanken und sagte entschuldigend: »Die Pest lähmt alles, Signorina. Handel und Wandel sind fast vollständig zum Erliegen gekommen. Auf den Plätzen herrscht Leere und auf den Märkten Mangel. Jeder nimmt sich, was er braucht, und die Obrigkeit schaut hilflos zu. Venedig, unsere geliebte
Serenissima,
hungert und stirbt.«
    Ich hatte schon häufiger gehört, dass die Venezianer ihre Vaterstadt
Serenissima
nannten, und wusste, dass der Beiname sich von lateinisch
serenus
ableitet, was heiter, fröhlich, ruhig bedeutet. Keines dieser Merkmale traf im Moment zu. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen.
    »Ich lasse Euch jetzt allein, Signorina, der Abend bricht bald an. Solltet Ihr noch etwas brauchen, klingelt nur. Ich habe gute Ohren und komme sofort.«
    »Du scheinst anzunehmen, ich müsse hier übernachten?«
    »Wo solltet Ihr sonst schlafen, Signorina? Es gibt kaum eine Herberge in der Stadt, die noch geöffnet hat.«
    Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Der Gedanke, uneingeladen in fremder Umgebung nächtigen zu müssen, war mir wenig angenehm. »Ich will mich nicht aufdrängen. Ich kann für die Übernachtung zahlen.«
    »Das wäre Doktor Sangio keinesfalls recht. Wie ich schon sagte, dies ist ein gastliches Haus.«
    »Nun gut, ich danke dir. Dann sehe ich Doktor Sangio morgen.«
    »Vielleicht morgen, Signorina, vielleicht auch nicht.«
    Er verschwand und ließ mich mit meinen Grübeleien allein. Ich konnte mir keinen Reim auf das Verhalten des Hausherrn machen. Offenbar war er anwesend, wollte aber trotzdem nicht gestört werden. Warum, verstand ich nicht. Es wäre eine Sache von wenigen Augenblicken gewesen, meine Botschaften zu lesen und mir eine Antwort zu geben.
    Irgendetwas stimmte da nicht, ich wusste nur nicht, was. Ich aß die Speisen auf und trank den Valpolicella. Dann legte ich mich ins Bett, entzündete eine Kerze und studierte meinen Pistorius.
    Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, denn die Kerze war heruntergebrannt und verlosch zischend. Dunkelheit umgab mich, und ich brauchte eine Weile, bis mir einfiel, wo ich war. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, aber es gelang nicht. Die Geräusche der Nacht in diesem Haus waren mir fremd. Ich hörte das Knacken des Gebälks, das Pfeifen des Windes und das Fauchen eines Katers. Irgendwann glaubte ich sogar, ein Schluchzen zu hören. Ich versuchte, meine Ohren zu verschließen, versuchte mit aller Macht, wieder einzuschlafen, doch je mehr ich mich bemühte, desto wacher wurde ich. So wälzte ich mich bis zum Morgen von einer Seite auf die andere und war froh, als endlich die ersten blassen Strahlen der winterlichen Sonne mein Zimmer erhellten.
    Ich stand auf und wusch mich, wie ich es jeden Morgen zu tun pflegte. Ich wusste, dass die meisten Menschen die Ansicht vertraten, Wasser übertrage ansteckende Krankheiten. Gerade in Zeiten der Pest war daher das Waschen des Körpers verpönt. Ich aber kümmerte mich nicht darum. Ich fühlte mich wohler und frischer, wenn ich sauber war.
    Nachdem ich mich angekleidet hatte, wollte ich mit dem Glöckchen nach Daniele klingeln, doch ein Klopfen an der Tür kam mir zuvor.
    »Komm herein, Daniele«, sagte ich entschlossen, denn ich hatte mir vorgenommen, mich nicht noch einmal vertrösten zu lassen.

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