Die Medica von Bologna / Roman
meine Lektüre, denn es schien mir die beste Methode, Venedig und die kommenden Schrecknisse für einige Zeit zu vergessen. Ein kleiner Schluck Lambrusco, dachte ich, würde die ablenkende Wirkung noch verstärken. Ich erhob mich und ging zu dem Esel, der meine Habseligkeiten trug, doch mein Wein war in keiner der Packtaschen zu finden. Ich begriff, warum Luca und Manuel so hilfsbereit gewesen waren. Sie hatten die Gelegenheit genutzt, um mich zu bestehlen. Zornig blickte ich zu ihnen hinüber, wo sie in einiger Entfernung am Feuer lagen. Wie ich vermutete, tranken sie Wein, wahrscheinlich meinen. Ich wollte zu ihnen laufen und sie zur Rede stellen, aber dann unterließ ich es. Sie würden natürlich abstreiten, dass es mein Wein war, und ich würde nur dumm dastehen, weil ich ihnen nichts beweisen konnte. Nein, es war besser, nichts zu unternehmen. Überdies war ich sie morgen sowieso los. Ich las noch eine Weile in meinem Pistorius und schlief dann trotz allen Ärgers und aller Sorgen ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, weil ich ein menschliches Regen verspürte. Statt des Weins hatte ich Wasser getrunken, vielleicht zu viel. Ich erhob mich leise und schlug mich ins Gebüsch. Während ich mich erleichterte, hörte ich, wie sich die beiden mit schwerer Zunge unterhielten. »Die Schleiereule ist gelehrt«, hörte ich Luca sagen, »sehr gelehrt.«
»Gelehrt und weise wie alle Eulen.« Manuel kicherte.
»Sehr weise …«
»Ja, sehr weise.«
»Sehr weise und sehr gut bei Kasse. Hab’s selbst gesehen.«
»Ja, ja, hicks.« Manuel unterdrückte ein Aufstoßen. »Seit wann brauchen Eulen Geld, hicks?«
»Hoho, die brauchen kein Geld, die nicht!«
Ich konnte mit dem Geschwätz erst wenig anfangen und wollte mich gerade zurückziehen, als mir plötzlich klarwurde: Sie meinten mich! Mit »Schleiereule« meinten sie mich, weil ich stets den Schleier trug!
Das änderte die Situation grundlegend. Ich beschloss, zu bleiben und zu lauschen, denn ich musste wissen, was sie vorhatten.
»Wir nehmen ihr die Kröten ab, und dann – krrr.« Manuel fuhr sich mit einer unmissverständlichen Handbewegung an die Kehle. Mir lief ein Angstschauer über den Rücken, aber schon entgegnete Luca: »Meinst du, wir sollten sie hopsgehen lassen? Vielleicht merkt’s jemand in Bologna, und wir sind die Angeschissenen? Lass uns lieber ein bisschen Spaß mit der Schleiereule haben, sie ist ein appetitliches Vögelchen, auch wenn sie das Sündenmal hat.«
»Spaß ja, warum nicht, aber abmurksen auch, damit sie später nicht quatschen kann. Wenn uns jemand fragt, sagen wir einfach, in Venedig hätt die Pest sie erwischt. Wir machen sie kalt, nehmen ihr die Kröten ab und verschwinden. Nur ein Idiot geht freiwillig nach Venedig.«
»Ja, ja, nur ein Idiot. Aber lass uns vorher noch einen saufen und ein Nickerchen machen, zur Stärkung sozusagen, hoho, und im Morgengrauen besorgen wir’s ihr.«
»Hicks, warum so lange warten, Bruder?«
Luca grunzte in wohliger Erwartung. »Ich will ihre Titten bei Licht sehen, Bruder, alle beide, und ihre kleine schwarze Höhle. Es macht einfach mehr Spaß, wenn du was dabei siehst, verstehst du?«
»Verstehe.«
»Salute.«
»Salute.«
»Hoho, auf die Weiber!«
»Auf die Weiber …«
Sie redeten noch eine Weile so weiter, doch irgendwann schnarchten sie endlich vor sich hin. Mit steifen Gliedern, vor Kälte und Angst am ganzen Körper zitternd, ging ich zurück zu meinem Feuer. Ich schürte die Glut und hielt die Hände über die Flammen, und während die Wärme sich langsam in meinem Körper ausbreitete, versuchte ich, Ruhe zu bewahren. Ich bemühte mich, klar zu denken, und merkte, wie meine Angst allmählich nachließ. Solange die Halunken schliefen, sagte ich mir, konnten sie mir nichts tun.
Aber was konnte ich tun?
Fliehen, mich dem großen Strom der Flüchtlinge anschließen, mich unter sie mischen, unsichtbar werden und auf diese Weise nach Bologna zurückkehren?
Nein, das kam nicht in Frage. Ich hatte mein Versprechen gegeben, den Auftrag auszuführen, und wollte es auf jeden Fall halten.
Was konnte ich sonst tun? Mich sofort auf den Weg nach Venedig machen? Das war riskant. Wenn es mir überhaupt gelang, unbemerkt loszureiten, würden die beiden Schurken spätestens morgen früh die Verfolgung aufnehmen und mich noch vor der Lagunenstadt abfangen. Und vergewaltigen. Und töten.
Wieder spürte ich tiefe Niedergeschlagenheit, fast hätte ich geweint in meiner Verzweiflung, aber
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