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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ich diesem Ritual nicht viel abgewinnen konnte. Ich fand, dass man an alles Mögliche dachte, während man die Glaubensformeln herunterleierte, nur meistens nicht an Gott. Und das wurde ihm nicht gerecht. Ich betete lieber, wenn ich wirklich das Bedürfnis dazu hatte.
    »Wie ist Bologna, Herrin?«
    Ich überlegte. Noch nie war ich aufgefordert worden, meine Vaterstadt zu beschreiben. »Nun, Bologna hat alle Stärken und Schwächen eines Menschen. Die Stadt wird
la grassa,
›die Fette‹, gerufen, weil man in ihren Mauern so üppig speist, oder
la dotta,
›die Gelehrte‹, weil sie die älteste Universität Europas beherbergt. Man könnte sie aber genauso gut
la brada,
›die Wilde‹,
la splendida,
›die Prächtige‹, oder
la iniqua,
›die Ungerechte‹, nennen. Es sind die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, die sie prägen.«
    »Das klingt, als könne dort jedermann machen, was er will?«
    »Manchmal, viel zu oft, ist es auch leider so.«
    »Macht Euch trotzdem keine Sorgen, Herrin, denn jetzt bin ich an Eurer Seite.«
     
    Abends schlug Latif zwei Zelte auf, ein kleines für mich, ein großes für sich, und verkündete, das Geld für eine Herberge könnten wir uns sparen. Er wolle ein schönes Feuer machen und die Suppe erhitzen.
    »Welche Suppe?«, fragte ich überrascht, denn wir führten nur Brot, Käse und etwas Wein als Wegzehrung mit uns.
    »Die Suppe, die ich vorhin in dem kleinen Dorf besorgt habe.«
    Ich erinnerte mich, dass wir ein paar Stunden zuvor einen Marktflecken durchquert und dort eine Rast eingelegt hatten. »Davon habe ich gar nichts bemerkt.«
    »Das solltet Ihr auch nicht, Herrin. Ich wollte Euch überraschen. Die Suppe habe ich einer alten Bäuerin abgekauft. Sie hat gefeilscht, als hinge ihre Seele davon ab, aber letztendlich habe ich einen guten Preis für uns herausgeschlagen.«
    »Hattest du denn Geld?«
    »Aber ja, das wisst Ihr doch, Herrin. Die hundert Scudi d’Oro des Dogen.«
    »Was? Du hast mein Geld genommen, um Suppe zu bezahlen?«, rief ich empört. »Wie konntest du das tun!«
    »Aber Herrin.« Latif wirkte erschreckt. Dann blickte er mich treuherzig an. »Ich habe das Geld doch für uns ausgegeben, war das etwa nicht richtig?«
    »Nun, ja.« Ich suchte nach Worten. »Dass du für uns beide etwas zu essen gekauft hast, war sicher nicht falsch. Aber die hundert Scudi gehören mir. Du hättest mich fragen müssen, bevor du etwas davon nahmst.«
    »Ja, Herrin. Es tut mir leid.«
    »Wie viel hast du denn für die Suppe bezahlt?«
    »Nur fünfzehn Scudi, Herrin.«
    »Was? Sag das noch einmal!«
    »Fünfzehn Scudi …«
    »Bist du von Sinnen? Weißt du eigentlich, was ein einziger Scudo d’Oro wert ist? Davon könntest du Monate, ach, was rede ich, wahrscheinlich sogar ein halbes Jahr lang jeden Tag für uns Suppe kaufen! Du hast dich übers Ohr hauen lassen von der Alten!« Ich wurde mit jedem Satz wütender, und mit jedem Satz schien Latif mehr in sich zusammenzusinken. Er stand da wie ein riesiges Häufchen Elend. Er wirkte so zerknirscht, dass er mir schon fast leidtat. »Es scheint, als sei es mit deiner Geschäftstüchtigkeit, von der du vollmundig sprachst, doch nicht so weit her.«
    »Ich habe im Haus der Glückseligkeit nur ein geringes Pantoffelgeld bekommen, Herrin.«
    »Pantoffelgeld?«
    »So nennt man im Harem das Taschengeld, weshalb mein Wissen um den Wert einer Münze vielleicht nicht ganz so groß ist. Aber beim nächsten Mal, das schwöre ich bei Allah, dem Gerechten, dem Unbestechlichen, der die Alte mit seinem Zorn strafen möge, mache ich es besser!«
    »Mache erst einmal die Suppe«, sagte ich.
    Einige Zeit später, nachdem Latif vergeblich versucht hatte, mit Stahl und Stein Feuer zu schlagen und sich daraufhin Glut von einem nahe gelegenen Gehöft besorgen musste, setzten wir uns nieder und aßen.
    Es war die teuerste Suppe meines Lebens.
     
    Am zweiten Tag unserer Reise brachte ich das Gespräch wieder auf den Topkapı-Palast, denn mich interessierte, was Latif dort erlebt hatte. »Ach, Herrin«, sagte er, »das Haus der Glückseligkeit, wie der Harem genannt wird, birgt gar nicht so viel Glückseligkeit. Jedenfalls nicht für einen unbedeutenden Eunuchen, wie ich einer war. Ich stand am unteren Ende der Rangordnung, meine Aufgabe war es, einer der Lieblingskonkubinen des Sultans die Arme mit Rosenöl zu massieren. Diese Kadine, wie sie genannt werden, war sehr zänkisch und machte mir das Leben zur Hölle. Sie hieß Afet, was ›hübsche Frau‹,

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